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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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stinksauer!«
    Okay, danke, das war’s – mir reicht’s! Ich pfeife ab jetzt auf meine Intuition. Der ist ja komplett verrückt! Sobald sich die Gelegenheit dazu bietet, schüttele ich ihn ab!
    Das Gespräch will ich aber in Gang halten, damit er mir in seinem Kopf nicht zu weit abdriftet, also sage ich behutsam, es könne doch nicht sein, dass er nur wegen dieser Pflanze nach Europa gekommen sei?
    Er schaut mich an, als wolle er mir gleich an die Gurgel gehen. Jetzt dreht er vollends durch!
    Er sagt ganz aufgeregt, dass seine Frau und seine Töchter ihn deswegen auch für komplett verrückt erklärt hätten. Ich atme durch. Recht haben sie.
    Aber das sei ihm egal.
    Ich frage ihn, woher aus Peru er denn genau komme und was er beruflich mache. Von mir will er außer meinem Vornamen und meiner Herkunft gar nichts wissen, macht aber trotzdem den Eindruck, als sei er eigentümlich intensiv an mir interessiert.
    Americo kommt aus Cusco in Peru und sagt, er sei der Schamane der dort ansässigen Indios. Sie nennen ihn Ruco Urco. Er arbeite ausschließlich mit Pflanzen und dieses Blatt der spanischen Pflanze sei für einen an Krebs erkrankten Freund bestimmt gewesen und jetzt würde er, da es die Pflanze nicht mehr gibt, stattdessen nach Santiago pilgern.
    Das klingt immer noch bekloppt, aber nicht mehr ganz so bekloppt wie vorher, dennoch finde ich diesen Typen immer verrückter, zumal er vorhin in die falsche Richtung lief. Da war ja Schnabbel berechenbarer! Ich weise ihn darauf hin, dass er es in seinen schicken Stadtschuhen wohl kaum bis nach Santiago schaffen werde. Er lacht schallend, schaut mich auf rührende Weise an und sagt in fast kindlichem Ton: »Doch, doch, doch, ich hab ja sooo viel Zeit.« Der alte Mann hält erstaunlich gut Schritt mit mir. Für eine Weile laufen wir schweigend nebeneinander her. Er fragt gar nichts. Sage ich nichts, ist er einfach still und überhaupt nicht mehr einzuschätzen.
    Auf dem Weg kommt uns plötzlich ein zutraulicher junger Schäferhund entgegen und streicht um meine Beine. Ich streichele das Tier und sage auf Deutsch: »Na du, wer bist du denn, du Süßer?« Dabei verfalle ich in einen dämlichen Kindersingsang. Americo oder besser Ruco Urco wendet sich ebenfalls dem jungen Hund zu und wiederholt wie ein Aufnahmegerät in exakt meinem Tonfall akzentfrei meinen vorher gesagten Satz auf Deutsch. Wie ein alter Papagei. Dann grinst er mich an, als würde er auf eine Reaktion warten. Ich kriege eine Gänsehaut, dass es mich schüttelt. Das ist unheimlich. »Sprichst du Deutsch?« Meine Stimme wird zu einem Krächzen bei der Frage. »Ja.« Mehr sagt er nicht auf Deutsch. Dann gehen wir eine halbe Stunde schweigend nebeneinander her. Ich bekomme Angst, Beklemmung, wie werde ich den wieder los? Ich will ihn loswerden, am besten sofort. Auch wenn er älter ist als ich, bei einem tätlichen Angriff seinerseits könnte ich mich kaum wehren. Mein Elf-Kilo-Rucksack würde mich sofort zu Boden bringen.
    Plötzlich fängt er wieder an zu reden und erzählt mir, man habe ihm seinen Pass geklaut. Ich frage ihn, warum er dann nicht besser zur peruanischen Botschaft wolle. Er sagt: »Wozu?« Ich sage: »Ohne Pass kommst du nicht zurück nach Peru.«
    Ruco Urco lacht wieder und sagt, kurz vor der Rückreise werde er sich dann seinen Pass schon holen.
    Ob er an Gott glaube, will ich dann irgendwann von ihm wissen.
    »Definitiv nein! Nur an die Erde, die Luft, das Wasser, die Pflanzen, die Tiere und die Sonne«, zählt er auf und grinst und zwar so, dass alle seine nicht vorhandenen Zähne strahlen würden.
    Plötzlich bemerke ich, dass Americos Halsmuskeln stark zu zucken beginnen. Das ist ganz deutlich zu sehen. Genau dasselbe Symptom habe ich manchmal auch, wenn ich mich überanstrenge oder übermüdet bin. Durch einen Sturz wurde diese leichte Dystonie bei mir ausgelöst. Nur ist das Zucken bei mir dann nicht so deutlich sichtbar wie bei ihm.
    Das ist ein seltenes Zipperlein, das zwar nicht dramatisch ist, aber durchaus auch mal unangenehm schmerzhaft werden kann. Der Muskeltonus gerät gewissermaßen aus dem Takt.
    Ich hab das noch nie bei einem anderen Menschen gesehen. Und je länger wir laufen, desto stärker werden seine Muskelverkrampfungen sichtbar. Ich mache ihn darauf aufmerksam und sage ihm: »Ich hab das übrigens auch. Genau dasselbe wie du. Wenn ich mich überanstrenge, dann zucken meine Muskeln.« Die Chance, jemanden mit diesem seltenen Symptom zu treffen, ist gering. Er sagt,

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