Ich bin dein, du bist mein
Grün, um anzuzeigen, dass er online war. Judith war es nicht. Er überprüfte den E-Mail-Account, den er extra für Judiths Nachrichten eingerichtet hatte. Das Posteingangsfach war leer. Er versuchte seinen Atem zu beruhigen. Wieder überprüfte er das Chat-Programm. Judith war immer noch nicht online. Es hatte keinen Zweck, so lange konnte er nicht warten. Er würde es von unterwegs aus versuchen müssen.
Er packte sein Netbook und sein besonderes Werkzeug ein. Sonnenuntergang war erst in zwei Stunden. Aber das Risiko musste er eingehen.
Es regnete noch immer aus bleigrauen, tief hängenden Wolken. Sein Netbook legte er in den Fußraum des Beifahrersitzes. Im Auto war es so feucht, dass die Scheiben von innen beschlugen. Er schaltete das Gebläse auf die höchste Stufe. Es dauerte einige Minuten und er hatte freie Sicht.
Er hatte kein Navi. Das merkte sich nämlich die letzten Ziele, die er angesteuert hatte und den Verlauf konnte man nicht löschen. Deswegen hatte Gabriel den Weg zu Judiths Haus und die Adressen ihrer Freunde auswendig gelernt. Der Weg nach Frankfurt dauerte um diese Zeit eine gute halbe Stunde. Der dichte Berufsverkehr stockte in der anderen Richtung, stadtauswärts. Erfreulicherweise wohnte dieser Jan nicht im Altstadtteil von Bergen, wo die Gassen zwischen den kleinen, schiefen Fachwerkhäusern so schmal waren, dass man kein Auto abstellen konnte, ohne dass es auffiel. Die Einfamilienhäuser etwas weiter im Osten waren etwa dreißig Jahre alt. Einstöckige Flachdachbungalows, die auf großzügigen, mittlerweile zugewachsenen Grundstücken errichtet worden waren.
Er parkte seinen Wagen schräg gegenüber an einer Straßenecke, von wo aus er das Haus der Wagners gut beobachten konnte. Der Vater war Dozent für Wirtschaftsrecht an der Frankfurter Universität, die Mutter betrieb eine psychologische Praxis im Nordend. Die perfekte Kleinstfamilie. Wenn man davon absah, dass der Sohn etwas zu kurz kam. Jan musste als Kind viel allein gewesen sein. Auch jetzt stand kein Wagen in der Auffahrt.
Um herauszufinden, ob jemand zu Hause war, rief er über ein Prepaid-Handy ein Taxi an. Zehn Minuten später hielt ein beiger Mercedes vor der Tür. Der Fahrer stiegaus und klingelte an der Haustür. Nichts. Er versuchte es noch einmal und schaute durch die Fenster hinein. Niemand öffnete ihm. Er ging zurück zu seinem Wagen und fuhr davon.
Jetzt erst stieg Gabriel aus und nahm die kleine Tasche, die hinter ihm auf dem Rücksitz lag. Dann erkundete er einen Fußweg in der Nähe des Hauses, um herauszufinden, ob man von hinten in den Garten kam. Auch oder gerade wenn bei den Wagners niemand zu Hause war, würde ein wildfremder Mann, der sich an der Haustür zu schaffen machte, jedem Nachbarn sofort auffallen.
Ein ruhiger Fleck. Total langweilig. In manchen Gärten wuchsen alte Obstbäume, große Birken rauschten im Wind. Den schmalen Fußweg säumten hohe Hecken. Niemand konnte ihn von außen sehen. Das kleine Gartentor stand weit offen. Sehr unvorsichtig.
Er stieg die Kellertreppe hinunter und öffnete die Tasche, in der sich ein Einwegschutzanzug befand und mehrere Paar Latexhandschuhe, Überzieher für seine Schuhe und eine große Rolle Packband. Außerdem hatte er einen kleinen Werkzeugkasten für das Schloss mitgebracht. Er zog die Schutzkleidung an, so würde er nicht die geringste Spur hinterlassen.
Nach gerade mal fünf Sekunden hatte er das Türschlossgeknackt. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich und lauschte. Alles still.
Er befand sich im Wäschekeller, der so penibel aufgeräumt und sauber war, dass man auf dem Wäschetisch in der Ecke eine Operation am offenen Herzen hätte durchführen können.
Er stieg die Treppe hinauf und hielt oben ein weiteres Mal inne, um zu lauschen. Noch immer war alles still. Es roch nach Essen. Spaghetti bolognese, tippte Gabriel. Zuerst ging er hinauf in Jans Zimmer. Er benötigte nicht viel: Haare aus dem Kamm, Schuhe und ein Stück getragene Unterwäsche.
Die Haare fand er auf dem Kopfkissen, die Shorts am Fußende des ungemachten Bettes. Alle Funde verpackte er einzeln in kleine Plastiktüten. Später hätte er nicht mehr sagen können, wie das Zimmer aussah, so sehr war er in seine Aufgabe vertieft. Er erinnerte sich nur an eine Gitarre in der Ecke und ein schmales Bücherregal.
Auf dem Weg nach unten machte er einen Abstecher in die Küche. Dort fand er wie erhofft in der Spüle ein scharfes Messer, das neben einem benutzten Löffel und einer
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