ermordet hast.
Der letzte Satz war natürlich gelogen, aber Judith hatte der Versuchung einfach nicht wiederstehen können. Ein Mal, nur ein einziges Mal wollte sie die Kontrolle haben.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betr.: Warum?
Meine schöne Königin,
ich weiß, dass du mit der Polizei gesprochen hast, aber siekann dir nicht helfen. Ich werde immer wissen, wo du bist. Ich lass dich nie allein. Du und ich, wir beide gehören zusammen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie stark meine Liebe ist. Du bist so wunderschön. Ich würde dich so gerne küssen und in meinen Armen halten. Bitte, nur ein Mal.
Gabriel
Judith starrte auf den Monitor, Angst und Ekel überwältigten sie. Da klingelte ihr Handy. Judith blickte wie versteinert auf das Display. Die Nummer war dieselbe, von der ihr auch die SMS geschickt worden war. Sie hob ab.
»Nur damit du es weißt: Meine Mutter steht neben mir und ich habe auf laut gestellt«, zischte sie wütend.
»Hallo Judith.«
Schweigen. Ein langes Schweigen – ein Kräftemessen.
»Was willst du?«, fragte Judith.
Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören, als er ihr antwortete. »Dich.«
Marion schnappte sich das Telefon, und als hätte sie das Mikrofon vergessen, hielt sie es an ihr Ohr. »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, was für ein armseliger Perverser Sie sind?«
Es knackte in der Leitung. Aufgelegt.
Marion warf das Telefon gegen die Wand. Das Displayzersplitterte, der Deckel des Akkufachs sprang auf und rutschte unter den Heizkörper.
Judith begrub ihr Gesicht in den Händen. Ihre Mutter hockte sich neben sie und legte ihr einen Arm um die Schultern. Erst wollte Judith sie wegstoßen, aber dann gab sie nach.
»Dieser verdammte Psycho!«, schluchzte Judith. Sie weinte nicht aus Verzweiflung, sondern vor Wut.
Judith war den ganzen nächsten Tag damit beschäftigt, ein Gedächtnisprotokoll für die Polizei zu erstellen. Im Nachhinein bedauerte sie natürlich, dass sie alle Mails und Chat-Protokolle gelöscht hatte. In den eigenen vier Wänden fühlte sie sich einigermaßen sicher, doch sobald sie das Haus verließ, wurde sie nervös und schaute sich immer wieder um.
Die Nachbarn waren informiert und hielten die Augen offen. Judith hätte nie gedacht, dass sie sich einmal mit älteren Herrschaften verbünden würde, die Falschparker anzeigten oder Kinder maßregelten, wenn sie zu laut herumtollten.
Kim und Niels betätigten sich als Bodyguards, was Judith manchmal fast zu viel wurde.
Robert half ihr dabei, alle wichtigen Informationen für die Polizei zusammenzutragen. Er blieb immer die Ruhe in Person und das lernte Judith sehr zu schätzen. Sie räumte ihm sogar im Bad eins ihrer Fächer, wo er seine Sachen ausbreiten konnte.
Doch die trügerische Ruhe währte nicht lang. Eines Nachts um zwei klingelte es plötzlich an der Haustür. Judith, die einen leichten Schlaf hatte, erwachte mit einem Ruck. Sie schlug die Decke beiseite, tappte zum Fenster und schob den Vorhang zurück.
Vor dem Haus stand ein Taxi mit laufendem Motor. Es klingelte erneut.
Als Judith ihre Zimmertür öffnete, sah sie, dass bereits Licht brannte. Ihre Mutter unterhielt sich mit einem Mann, allerdings so leise, dass Judith nichts verstehen konnte.
»Was ist los?«, fragte sie Robert, der oben am Treppenabsatz stand.
»Keine Ahnung.« Er trug blaue Boxershorts und darüber ein weißes T-Shirt. Seine Haare standen wirr nach allen Seiten ab.
Die Tür wurde geschlossen und Marion kam die Treppe hinauf.
»Wer war das?«, wollte Judith wissen.
»Ein Taxi zum Flughafen. Der Fahrer hat sich an derHaustür geirrt.« Judiths Mutter gähnte. »Kommt, lasst uns zu Bett gehen. Wir müssen alle früh raus.«
Sie wollte gerade das Flurlicht löschen, als es erneut klingelte. Marion verdrehte die Augen. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Guten Morgen«, sagte ein Mann, klein, stämmig und unrasiert. »Ihr Taxi ist da.«
»Vor fünf Minuten habe ich einen Ihrer Kollegen weggeschickt«, sagte Judiths Mutter. »Wir wollen nicht zum Flughafen. Wir wollen schlafen.«
»Sie heißen Schramm?«
»Ja.«
»Und das ist doch die Hausnummer sechzehn?«
»Ja.« Marions Stimme klang wie ein müdes Echo.
»Dann haben Sie ein Taxi bestellt«, sagte der Mann trotzig.
Marion schloss die Augen. »Hören Sie mal, sehen wir so aus, als wollten wir in Urlaub fahren? Ganz bestimmt nicht. Es kann sich nur um ein Versehen handeln.«
Der Taxifahrer fluchte leise in einer fremden Sprache,