Ich bin dein - Geheime Sehnsucht
sein.
»Linda«, bestätigte Nathaniel. »Darf ich dir Abigail King vorstellen?«
Nathaniel durfte mich Abigail nennen, aber es kam nicht in die Tüte, dass mich alle so nannten. »Abby«, sagte ich und streckte ihr die Hand entgegen. »Bitte nennen Sie mich Abby.«
»Nathaniel sagte, Sie arbeiten in der New Yorker Stadtbibliothek, in der Zweigstelle Mid-Manhattan«, sagte Linda, nachdem ich ihr die Hand geschüttelt hatte. »Sie liegt auf meinem Weg zum Krankenhaus. Vielleicht können wir uns einmal zum Mittagessen treffen.«
Durfte ich das? Mit Nathaniels Tante zu Mittag essen? Es erschien überaus persönlich. Aber ich konnte ihr auch keinen Korb geben. Und wollte es auch nicht. »Sehr gern.«
Sie fragte mich, wann von ihren Lieblingsautoren neue Bücher erscheinen würden. Wir plauderten einige Minuten über unsere Vorlieben und Abneigungen – wir lasen beide gern Thriller und wenig Science-Fiction ‒, als Nathaniel uns unterbrach.
»Ich hole uns Wein«, sagte er zu mir. »Rot oder weiß?«
Ich erstarrte. War es ein Test? War es ihm wichtig, welchen Wein ich wollte? Wie lautete die richtige Antwort? Ich hatte mich so nett mit seiner Tante unterhalten, dass ich ganz vergessen hatte, dass ich keine normale Begleiterin zu einem Abendessen war.
Nathaniel beugte sich so nahe an mich heran, dass ihn außer mir keiner hörte: »Ich habe keine versteckte Agenda. Ich will es nur wissen.«
»Roten«, flüsterte ich.
Er nickte und ich sah ihm nach, wie er Richtung Kellner verschwand – es war der reinste Genuss, ihn gehen zu sehen. Auf halbem Weg hielt ihn ein Teenager auf. Die beiden umarmten sich.
Ich wandte mich zu Elaina. »Wer ist das?« Ich konnte mir niemanden vorstellen, der so ungehemmt auf Nathaniel zuging und ihn umarmte.
»Kyle«, sagte sie. »Nathaniels Empfänger.«
»Empfänger?«, fragte ich völlig ahnungslos.
»Von Nathaniels Knochenmark natürlich.« Sie deutete auf das Spruchband am Eingang des Saals: Zum ersten Mal las ich, dass dies eine Benefizveranstaltung für die New Yorker Gesellschaft für Knochenmarkspenden war.
»Nathaniel hat Knochenmark gespendet?«
»Es ist schon einige Jahre her. Kyle war damals acht, glaube ich. Nathaniel hat ihm das Leben gerettet. Sie mussten an vier Stellen in ihn hineinbohren, und zwar bei vollem Bewusstsein. Er meinte, ein Leben zu retten sei so eine Prozedur wert.«
Ich glaube, ich schaute immer noch verblüfft, als Nathaniel zurückkehrte. Zum Glück wurden wir kurz darauf zu Tisch gebeten, sodass ich mich auf andere Themen konzentrieren konnte.
Jackson und Felicia saßen, einander zugewandt und in ein Gespräch vertieft, schon an unserer Tafel. Nathaniel hielt mir den Stuhl, als ich mich niederließ. Felicia lächelte uns kurz an und wandte sich gleich wieder Jackson zu.
»Sieht so aus, als müssten uns die beiden dankbar sein«, sagte Nathaniel, als er sich gesetzt hatte.
»Abby«, sagte Jackson schließlich, stand auf und reichte mir über den Tisch zum Gruß die Hand. »Ich habe das Gefühl, dass ich dich schon kenne.«
Ich warf Felicia einen zornigen Blick zu.
Ich war es nicht, sagte ihre Miene. Ich weiß nicht, was er meint.
»Hey, Nathaniel«, sagte Jackson. »Ist es nicht cool, dass wir beide mit Frauen ausgehen, die beste Freundinnen sind? Nur Schwestern wären besser gewesen.«
»Halt die Klappe, Jackson«, sagte Todd. »Tu ausnahmsweise mal so, als hättest du Manieren.«
»Jungs, bitte«, mischte sich Linda ein. »Wenn ihr das so weitertreibt, werden sich Felicia und Abby hüten, nochmals mit uns wegzugehen.«
Die Jungs, wie Linda sie nannte, schafften es, sich zusammenzureißen. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass sie in der Kindheit heftig für Krawall gesorgt hatten. Routiniert spielten sie sich gegenseitig die Bälle zu. Sogar Nathaniel mischte sich gelegentlich in ihr Geplänkel ein.
Unsere Vorspeise kam als Erstes. Der Kellner stellte einen Teller mit drei Jakobsmuscheln vor mich hin.
»Zum Teufel, Mom«, sagte Jackson. »Drei Muscheln? Ich habe demnächst eine Endspielserie.« Trotzdem griff er zu und aß, murmelte aber dauernd etwas von »Luschenfraß«.
»Jackson wurde von Bären großgezogen«, flüsterte mir Nathaniel zu. »Linda ließ ihn nur ab und zu mal ins Haus. Deshalb passt er so gut in sein Team ‒ alles Tiere.«
»Das habe ich gehört«, rief Jackson über den Tisch.
Felicia kicherte.
Bald folgten Salate und die Hauptgerichte. Keine Ahnung, wie es Jackson ging, aber ich wurde bestens satt.
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