Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
einem positiven Ende führen? Sam wusste es nicht. Das Gespräch war ganz anders verlaufen, als Sam es vermutet hatte. Sie sprachen zu abstrakt, zu theoretisch. Er musste Tom wieder auf die Frauen lenken.
»Du sprichst von einer fairen Chance, Tom? Dann halte dein Wort. Gib uns einen Namen.«
»Habt ihr eure Liste schon so weit eingegrenzt?«, fragte Tom.
Sam begann zu schwitzen. Er hatte sich nicht getäuscht. Die ganze Zeit über hatte Tom in den Briefen nur solche Informationen preisgegeben, die sie auf einem genau kalkulierten Abstand hielten. Alles war genauestens orchestriert. Der Dirigent. Er hatte alles geplant. Auch das hier. Welche Chance hatten sie? Eine kleine, dachte Sam. Wenn er darauf einging.
»Zehntausend? Fünfzehntausend?«, fragte Tom.
Sam dachte nach, versuchte, die nächsten zwei Züge im Voraus zu berechnen. Er hatte das Profil im Kopf. Er kannte ihn. Besser, als Tom dachte. Das war sein Vorteil. Der einzige. Er würde besser sein müssen, als Tom vorausberechnet hatte. Darauf war es immer hinausgelaufen, oder?
»Achttausendfünfhunderteinunddreißig«, sagte Sam. Die ehrliche Antwort. Alle anderen Züge führten zu einem Verlust dieses Spiels.
»Ich werde darüber nachdenken, Sam. Für heute haben wir genug geplaudert, ich habe noch eine Verabredung.«
Das Video auf dem Bildschirm verschwand.
Und ich weiß genau, mit wem, dachte Sam. Und ich weiß nicht, ob wir sie retten können.
Kapitel 56
Hyannis Port, Massachusetts
Mittwoch, 17. Oktober
Am nächsten Morgen ging Klara direkt nach dem Aufstehen zu MoneyDepot, einem Dienst, über den man sich weltweit Geld senden lassen konnte, wenn man keinen Zugang zu Konten oder Kreditkarten hatte. Das Prinzip war dasselbe, das den Aufstieg der venezianischen Familien im 12. Jahrhundert begründet hatte: Man gab einem Verwandten in Deutschland das Geld, und der Neffe zahlte es in Italien wieder aus. Und Eastern Union verlangte ähnlich hohe Gebühren wie die venezianischen Halsabschneider. Aus den von Pia eingezahlten 1000 Dollar wurden 876,50. Aber Klara war wieder flüssig, was für ihren Plan entscheidende Bedeutung hatte.
Als Ruth die Tür der Bibliothek aufschloss, stand Klara schon vor dem Eingang. Sie zählte 200 Dollar ab und drückte sie Ruth in die Hand, während sie sich an ihr vorbeischob. Ruth lächelte nicht, aber sie nahm das Geld, ohne sich zu beschweren. Vermutlich hätte sie sich auch mit der Hälfte zufriedengegeben, aber Klara hatte keine Lust, um den Preis zu feilschen. Solange sie Geld hatte, konnte sie es auch ausgeben. Im Gegensatz zu Ruth machte sich Klara nichts aus Geld.
Die ersten Stunden folgte Klara dem gleichen Ritual wie am Vortag: Sie identifizierte einen neuen Vermisstenfall und suchte dann in demselben Zeitraum nach Artikeln über den Gouverneur. Um die Mittagszeit hatte sie sieben gefunden und alle Artikel über die Awleys dazu katalogisiert. Klara beschloss, dass sie eine Pause brauchte. Nachdem sie sich versichert hatte, dass Ruth nicht noch einmal abkassieren würde, lief sie die Main Street entlang. Hier reihte sich ein Restaurant ans andere, im Sommer brummte hier ein Geschäft, das den miesen Winter ausgleichen musste. Natürlich war Hyannis als ungekrönte Inselhauptstadt noch privilegiert, im weniger dicht besiedelten Norden sah es von Oktober bis März noch trüber aus. Klara lief bis zum Hafen, in dem auch die Fähren aus Boston anlegten. Jetzt dümpelten die Jachten der reichen Familien winterfest im Becken. Cape Cod war der Rückzugsort für das alte Neuenglandgeld, kein Monaco oder Miami, in dem Luxus protzig zur Schau gestellt wurde. Man besaß ein Boot, aber keine 47-Meter-Jacht. Ein gewisses Understatement konnte Klara der Inselbevölkerung nicht absprechen, denn die Immobilienpreise waren hier nicht weniger gesalzen.
Klara wanderte den kurzen Strand entlang, die Sonne mühte sich redlich, aber den kalten Wind konnte sie nicht vertreiben. Klara fragte sich, warum hier offenbar mehr Menschen verschwanden als anderswo. Relativ zu den Einwohnern, auch wenn man die Touristen hinzurechnete, lag die Quote deutlich über dem Durchschnitt. Lag es am Meer, das die Menschen verschluckte? Oder an dem Fernweh, das die Menschen erfasste und das sie dazu ermutigte, ihr altes Leben hinter sich zu lassen? Klara hatte darauf keine Antwort. Aber sie hatte zusammen mit denen von gestern elf Fälle von Menschen zusammengetragen, die vom einen auf den anderen Tag verschwunden waren. Ein Junge, der
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