Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
vom Surfen nicht zurückkam, zu seinen Freunden, mit denen er ein Ferienhaus teilte. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, das nach einer Klavierstunde zu seinen Eltern nach Hause lief, aber dort niemals ankam. Und die eigentliche Arbeit fing jetzt erst an. Sie musste eine Verbindung zu den Awleys finden. Was würde Sam tun?, fragte sich Klara. Wenn ihre Vermutung richtig war, dass es um ein Fehlverhalten eines der Awley-Kinder ging, kam vom Alter her nur der Junge infrage. Sam würde sich also auf Vermisstenfälle in seiner Altersgruppe fokussieren. Dann würde er mit denen starten, die in der Nähe der Awleys wohnten. Das dürften nicht mehr so viele sein. Und dann in konzentrischen Kreisen immer weiter nach außen arbeiten, bis du sie gefunden hast, hörte Klara Sam innerlich dozieren. Klara kaufte eine große Cola bei einem Kiosk am Pier, der die Fährgäste versorgte, und setzte sich zu den Möwen. Dann ging sie auf der Main Street zurück zur Bibliothek, um Sams Vorschlag umzusetzen.
Drei Stunden später hatte sie in einer Karte von Hyannis Port und der näheren Umgebung drei Vermisstenfälle markiert: ein X für den Ort, an dem sie zuletzt gesehen wurden, ein roter Pfeil mit der Route, die sie vermutlich von da genommen hatten, und ein größerer Kreis, der anzeigte, in welchem Gebiet sie vermutlich verschwunden waren. Entführt, ermordet oder einfach weggelaufen. Alle drei Fälle lagen in der Nähe des Hauses der Familie Awley, das auf einem kleinen Hügel lag, direkt gegenüber dem berühmten Sommerhaus der Kennedy-Familie, auf der anderen Seite der kleinen Bucht. Eine feine Gegend, wie Klara von einer Spritztour am Vorabend wusste. Nicht übertrieben pompös, gerade so, wie es sich für einen Politiker gehörte. Die Häuser standen an kurvigen Straßen, die grünen Wiesen hoben sich gestochen scharf von den asphaltgrauen Einfahrten ab. Wer in dieser Idylle aufwuchs, hatte ein gutes Leben vor sich. Wenn er nicht einfach verschwand. Klara hätte als Kind alles dafür gegeben, in solch einem Umfeld aufzuwachsen, wobei sie damals nicht gewusst hätte, dass es so etwas in Amerika überhaupt gab. Hier sollten keine Kinder verschwinden, und doch passierte es. Pete Thoreau, ein neunzehnjähriger Junge, der mit Freunden Urlaub im Haus seiner Eltern machte. Er kam von einem Surfausflug nicht zurück, und die kürzeste Route hätte ihn am Haus der Awleys vorbeigeführt. Klara überlegte. Seine Freunde hatten die Polizei erst am nächsten Tag gerufen. Sie hatten behauptet, sie hätten nur ein paar Bier getrunken. Klara wusste es besser. Aber Will Awley war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal fünfzehn Jahre alt gewesen, was ihn für eine Gruppe Jugendlicher um die neunzehn nicht gerade attraktiv machte. In diesem Alter waren vier Jahre eine Ewigkeit. Klara verwarf den Fall vorerst. Er lag zumindest nicht auf der Hand. Und er deckte sich nicht mit dem von Steins Kanzlei angefertigten Rechtsgutachten, in dieser Konstellation wäre allenfalls ein Unfall vorstellbar. Das lag beim Fall des kleinen Jeffery anders. Laut dem Hilferuf seiner Mutter in der Cape Cod Times war der Zehnjährige mit dem Fahrrad unterwegs zum Haus eines Freundes gewesen – keine zwei Kilometer vom Haus seiner Eltern entfernt. Dort war er nie angekommen. Klara bemerkte anhand der Karte, dass Jeffery hätte abkürzen können, wenn er ein kleines Stück auf einem Waldweg zurückgelegt hätte. Eine Möglichkeit. Ein fünfzehnjähriger Junge wie Will Awley? Keine sehr große Wahrscheinlichkeit. Aber der Fall roch nach Gewalt. Es gab keinen Ozean im Wald, der Jeffery hätte verschlingen können. Nur den abgeschiedenen Parkplatz in unmittelbarer Umgebung. Klara machte sich eine Notiz und fotografierte alle Zeitungsartikel über Jefferys Verschwinden. Zur späteren Verwendung. Das war ein Fall für die Stiftung. Jefferys Eltern lebten immer noch ohne die Gewissheit, dass ihr Sohn an einem besseren Ort angekommen war. Was als Hoffnung angefangen und sich in Befürchtung gewandelt hatte, war schließlich in Angst umgeschlagen. Wie bei allen Vermissten. Die schiere Angst, dass er nach zehn Jahren klingeln könnte, als fremder junger Mann. Natürlich tat Jeffery das nicht. Er war entführt worden, mit seinem Fahrrad, auf dem Waldweg. Und gäbe es nicht das Gutachten über die Schuldfähigkeit bei verletzter Aufsichtspflicht: Der Vater, Allistair Awley, wäre aus Klaras Sicht als Täter durchaus in Betracht gekommen. Trotz seines verbindlichen Politikerlächelns. Aber
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