Ich bin der Herr deiner Angst
jemand ein wenig ein Auge auf mich hatte … Und sei es der Schöne Schorsch …
Ob er bis zum Schluss an mir drangeblieben war? Bis mein Verdächtiger mir weltmännisch die Beifahrertür des Jaguar aufgehalten und mir dabei die Hand auf eine Stelle irgendwo zwischen Hüfte und Hintern gelegt hatte, auf eine Weise, dass es fast beiläufig wirkte? Fast.
So oder so.
Albrecht musste klar sein, dass ich ihm etwas verheimlichte.
«Gut», murmelte er. «Zehn Minuten Vorsprung sollten wirklich genügen.»
***
War er enttäuscht?
Jörg Albrecht war nicht bereit, sich die Frage in diesem Moment zu beantworten.
Friedrichs hatte sich, gerade in den vergangenen Tagen, als diejenige Mitarbeiterin erwiesen, die am ehesten in der Lage schien, seinen Gedankengängen zu folgen. Und nun?
Irgendetwas verschwieg die Kommissarin. Stahmke hatte sich mit Paul Schubert und ihrem Anwalt getroffen – diesem Merz, einer der sieben biblischen Plagen, was den Hauptkommissar anging. So viel hatte er schon von Schorsch erfahren. Ob danach noch etwas geschehen war? Unwahrscheinlich. Schorsch war der Zecke und Schubert auf den Fersen geblieben, bis sie ihren Wagen erreichten, während Friedrichs in die Gegenrichtung verschwunden war – zu ihrem eigenen Auto mit ziemlicher Sicherheit. Ob sie in der Tapas-Bar selbst etwas mitbekommen hatte?
Hatte Albrecht ihr überhaupt die Chance gegeben, einen vollständigen Bericht abzuliefern?
Er biss die Zähne zusammen. Er war in seine eigene Falle gegangen.
Darüber durfte er jetzt nicht nachdenken!
Jetzt bist du
hier
! Was siehst du? Wie fühlt es sich an?
Er blieb einen Moment lang neben dem Wagen stehen.
Der Wind hatte aufgefrischt seit dem Morgen, kam unangenehm von den Harburger Bergen herab. Der Himmel war gleichmäßig grau. Kein Sonnenlicht, keine Schatten.
Auf dem Hof des Energieversorgers bewegten sich Gestalten, die keine Notiz von den Ermittlern nahmen.
Gedämpfte Ruhe des frühen Nachmittags. Trügerische Ruhe.
Wenige Meter vor dem Zaun, der das Betriebsgelände abteilte, tauchte ein Abwassergraben unter der Straße auf.
Der Geruch. Präge ihn dir ein. Er könnte wichtig sein.
Dahinter der Trampelpfad, den Wegner genommen hatte. Er führte ein paar Schritte durch hoch stehendes Gras, und dann durch ein hüfthohes Metalltor, das offen stand.
Albrecht folgte ihm mit langsamen Schritten, parallel zum Graben.
Der Deich war durch die nur noch spärlich belaubten Bäume bereits sichtbar. Wie weit bis dorthin? Hundert Meter maximal.
Das ist nicht das Entscheidende! Was spürst du?
Einsamkeit.
Jenseits des Grabens erhoben sich einige Schuppen oder Kleingartenbuden. Schwer zu sagen, ob sie bewohnt waren. Auf dieser Seite der Ablaufrinne der Baumbewuchs, aber nicht dicht genug, dass es zu einem Wäldchen gereicht hätte. Ein halb wilder Lagerplatz. Baustoffe?
Belebtes Gelände in sämtliche Richtungen. Die Gegenwart von Menschen ließ sich nicht ausblenden. Auch in der Nacht mussten die Geräusche vom Hafen, die vorbeifahrenden Züge allgegenwärtig sein.
Doch dieser Fleck war ausgenommen, wobei er nichts von einer Oase hatte. Nein, gewiss nicht.
Eine Sackgasse, dachte Albrecht. Ein verlassener, hinterletzter Winkel, in den sich ein todwundes Tier flüchtet, eingekreist von seinen Verfolgern.
Links vom Weg niedergetretenes Gras. Ein günstiger Punkt, um sich zu erleichtern? Oder mehr?
Behalte alle Möglichkeiten im Kopf!
Dann sah er das Wohnmobil.
Es sah schäbig aus, doch Albrecht bemerkte sofort, dass eine Schneise in Richtung Straße freigehalten wurde.
Kein Wrack. Eine Fluchtmöglichkeit bleibt offen.
Irmtraud Wegner stand vor der Tür des verrosteten Kastens.
Sie war verschlossen.
Jörg Albrechts Herzschlag beschleunigte kurz, wurde aber sofort wieder ruhiger.
Keine Gefahr. Wegner hatte zehn Minuten Vorsprung gehabt. Wenn irgendetwas nicht in Ordnung gewesen wäre, hätte sie ihn und Friedrichs längst informiert.
«Ist Hauptkommissar Wolfram nicht zu Hause?», fragte er mit einem Nicken.
Er hatte für sich beschlossen, Wolfram mit dem Titel anzusprechen, den er zuletzt bekleidet hatte – auf Albrechts jetzigem Posten.
Was immer mit dem Mann geschehen war und wie er sich verändert hatte: Dieser Posten prägte einen Menschen stärker, als der Mensch den Posten prägen konnte.
Wegners Augenbrauen zogen sich zusammen. «Er ist immer zu Hause!»
«Aber er will nicht mit uns sprechen?»
Die Sekretärin schüttelte bedauernd den Kopf. Ein Bedauern, das echt
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