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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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eingeschritten? Die Eltern? Die Jugendfürsorge? Nein! Das arme, hilflos-aggressive Kind hat niemals Hilfe bekommen. In Wahrheit … ist der Täter ein Opfer?»
    Hatte der Blick der jungen Frau sich verändert?
    Es spielte keine Rolle. Jörg Albrecht konnte und wollte sich nicht mehr bremsen.
    «Sie wollen wissen, was die Wahrheit ist? Dieser Mann hier, Horst Wolfram, war davon
überzeugt
, dass Sie tot sind! Ja, möglicherweise hat er sich etwas zu schnell davon überzeugen lassen, weil er Dinge, die für einen Menschen überhaupt nicht zu ertragen sind, nicht länger ertragen konnte und einfach den Wunsch hatte, mit ihnen abzuschließen. Ja, möglicherweise hätte er berücksichtigen müssen, dass irgendwie noch eine entfernte theoretische Chance bestand, dass Sie am Leben sein könnten, und sei es auf der Umerziehungsfarm eines Irren. – Ja?»
    Ganz langsam löste er sich von der Brüstung, den Blick auf den Pistolenlauf gerichtet.
    «Verstehen wir uns? Ja? – Sie hatten eine schwere Kindheit, richtig? Und irgendwelche Menschen haben Ihnen etwas eingetrichtert, das ihnen selbst ein Kerl mit krankem Hirn eingetrichtert hat? Und deshalb mussten Sie bedauerlicherweise töten?»
    Sie sah ihn an, ihr Blick unbestimmt, die Pupillen – sie schienen zu schwimmen, sie …
    Sie blinzelte.
    «So what!»,
knurrte Jörg Albrecht. «Los! Schießen Sie mich über den Haufen, und diesen Mann dazu! Ich kann Sie nicht daran hindern. Aber wenn Sie wirklich die Wahrheit hören wollen: Sie haben keine Entschuldigung! Sie sind kein
Opfer
, Sie sind eine
Täterin

    Ihre Augen. Er sah eine einzelne Träne, die sich langsam aus dem Winkel des rechten Auges löste und über ihre Wange rann.
    «Wir alle haben die Wahl», sagte er. «Jede Minute, immer wieder. Einem wird sie leichter gemacht, dem anderen schwerer, aber
wir haben die Wahl
! Andere Menschen haben weit Schlimmeres durchgemacht als Sie und sind
nicht
zu Mördern geworden!»
    Er schüttelte den Kopf und winkte ab.
    In den allermeisten Fällen gelang es ihm, den Menschen, mit denen er zu tun hatte – auch Tätern –, ein gewisses Mindestmaß an Respekt entgegenzubringen. Doch in diesem Fall …
    Ein rhythmisches Klatschen ertönte.
    Max Freiligrath lehnte auf der Betonbrüstung der Zisterne wie einer der beiden Greise aus der Muppet-Show und schlug in Zeitlupe die Handflächen ineinander.
    «Nein, wie eindrucksvoll! Nein, wie hemmungslos und hoffnungslos pathetisch!»
    Jörg Albrecht holte Luft …
    Und im selben Moment lenkte ihn etwas ab.
    Eine Reflexion weit oben nahe der kuppelartigen Decke der Felsenkammer, wo einer der Sturzbäche in die Tiefe donnerte. Eine Reflexion, die … anders war.
    Ein Stromstoß fuhr durch Albrechts Körper.
    Wir sind nicht allein!
    Cornelius! Das Kommando!
    Warum schießen sie nicht?
    Sieh nicht hin!
    Denk nicht darüber nach!
    Sie werden kommen – oder nicht.
    Doch
jetzt bringst du das hier zu Ende
!
    Jörg Albrechts Blick wandte sich zu Freiligrath. «Wenn die Wahrheit pathetisch ist, Dr. Freiligrath, bitte, dann bin ich pathetisch. Wenn es pathetisch ist, ein Falsch und ein Richtig zu benennen, ein Schwarz und Weiß – dann bin ich pathetisch. Wenn die Alternative darin besteht, alles und jedes zu rechtfertigen, zu entschuldigen, die Wahrheit so lange in einen grauen Brei von Kausalitäten und Wahrnehmungen zu tunken, bis kein Schwarz und Weiß mehr zu erkennen ist. Bitte, dann bin ich verdammt froh, pathetisch zu sein!»
    «Mein lieber Herr Albrecht!» Ein Funke blitzte in den Augen des Traumfängers. «Wirklich! Ich
bin
beeindruckt! Wenn ich geahnt hätte, dass dieser Versuchsaufbau Sie zu derartigen rhetorischen Leistungen ermuntert …»
    Und so weiter und so fort.
    Die wenigsten Menschen, erinnerte sich Jörg Albrecht, waren in der Lage, die Prozesse des Denkens und des Redens gleichzeitig zu bewältigen.
    Max Freiligrath hatte vor ungefähr einem Vierteljahrhundert einmal einen Gedanken gehabt – einen auf mörderische Weise originellen Gedanken –, von dem er seit diesem Zeitpunkt zehrte.
    Nicht viel Neues dazugekommen seitdem, dachte der Hauptkommissar. Stattdessen eine Menge heiße Luft und eine Verliebtheit in seine eigene Fähigkeit, die Dinge hinter den Dingen zu erkennen, die es ihm unmöglich machte, zu sehen, was offensichtlich war.
    Maja Werdens Pistole zielte auf Jörg Albrechts Stirn, der Finger am Abzug.
    Die junge Frau musste den zweiten Arm zu Hilfe nehmen, um ihre Hand am Zittern zu hindern.
    Ihr

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