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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Rushhour. Die Nachtschwärmer erinnern an Fledermäuse, die auf Mottenjagd eine Laterne nach der anderen abklappern. Sich zu Hause hübsch machen, dann ein Häppchen essen als Grundlage, und dann ab ins wilde Leben.
    Jetzt, gegen zehn, ging das wilde Leben ganz allmählich los.
    Allerdings nicht für Margit Stahmke und den Mann, dessen vornehmste Aufgabe darin bestand, sie stets und ständig von ihrer Schokoladenseite einzufangen. Wer zum Frühstück die nächste reißerische Geschichte auspacken wollte, gehörte früh ins Bett.
    Bei Joachim Merz war ich mir dagegen nicht ganz sicher. In der richtigen Stimmung für einen wilden Abend war er mit Sicherheit – und da begann das Problem.
    Das galt nicht nur für ihn.
    Der Anwalt hatte ein iPad ausgepackt, offenbar um die wichtigsten Stichpunkte aus Stahmkes Rede hineinzutippen. Jedenfalls hatte er sie hin und wieder einen Blick auf den Bildschirm werfen lassen: Der bevorstehende Weg durch die gerichtlichen Instanzen vermutlich, bis zu Jörg Albrechts Entfernung aus dem Polizeidienst.
    Doch die meiste Zeit hatte Merz einfach zugehört.
    Zumindest musste das Margit Stahmkes Eindruck gewesen sein.
    Es ist unglaublich, wie viel man sagen kann, ohne ein Wort zu reden. Ein Blick hier, ein Zwinkern dort, eine unverfängliche Handbewegung … Nein, keine eindeutigen Gesten vom Pausenhof in der achten Klasse. Vollkommen harmlose, beiläufige Zeichen. Ein Handrücken, der nachdenklich über die Lippen streicht, Augen, die sekundenlang auf dem Ansatz eines Dekolletés verharren, über dem sich wie von Zauberhand ein Knopf mehr geöffnet hat, als das noch zu Beginn des Abends der Fall gewesen ist.
    Ich musste den Verstand verloren haben, auf diese Nummer einzusteigen.
    Dass ich den nicht ganz beisammenhatte, sobald Joachim Merz ins Spiel kam, hatte ich heute ja schon zur Genüge mit mir erörtert.
    Unverständlich blieb mir nur, warum
er
sich mit
mir
solche Mühe gab.
    Gerüchten zufolge hatte der Mann seine eigene Facebook-Fanseite.
    Ich wartete. Ich lauschte. Ich zwinkerte zurück. Ohne Erfolg.
    Bis auf das Zwinkern.
    Ich war nicht so hirnverbrannt, mir einzubilden, dass Merz mir auch nur die allerkleinste Chance geben würde,
ihm
irgendwie in die Karten zu schauen.
    Meine Chance bestand darin, aus erster Hand mitzukriegen, falls sich auf Margit Stahmkes Handy etwas tat – und dann an ihr dranzubleiben.
    Warum auch immer: Er schien bereit, mir diese Chance zu geben.
    Ich würde sie nutzen, so lange ich konnte.
    Die Gruppe, die den Tisch zwischen uns blockiert hatte, zahlte jetzt und machte sich auf den Weg nach draußen.
    Endlich hatte ich freieren Blick, würde vielleicht auch besser verstehen können, was an Stahmkes Tisch gesprochen wurde – doch im selben Moment wurde mir klar, dass ich zu lange gewartet hatte.
    Zwei weitere Tische waren noch besetzt, beide direkt am Fenster, eine ganz Ecke entfernt. Wenn die Journalistin das nächste Mal in meine Richtung schaute,
konnte
sie mich nicht übersehen.
    Gehetzt hielt ich nach der Kellnerin Ausschau. Nirgends zu sehen.
    Nur Joachim Merz, der fragend die Augenbrauen hob. Mir blieb nichts, als in blinder Panik zurückzustarren. Bitte, mach irgendwas!
    Es war demütigend.
    Seine Lippen verzogen sich amüsiert, doch eine Sekunde später nickte er wie zu sich selbst, drehte das iPad um und begann, Stahmke etwas zu erklären.
    Die Kellnerin. Ich atmete auf, gab ihr ein Zeichen, zog deutlich sichtbar zwei Zwanzig-Euro-Scheine aus dem Portemonnaie und schob sie unter mein letztes, noch halb volles Holsten.
    Es war das erste Mal an diesem Abend, dass ich die Frau tatsächlich lächeln sah.
    Das Trinkgeld der Saison, dachte ich finster, doch wenn ich mir jetzt noch rausgeben ließ …
    Mit dem Rücken in Richtung Stahmke schob ich mich zur Tür, schlüpfte ins Freie und atmete durch.
    Geschafft. Drei Schritte Abstand zum Fenster, bis ich aus dem Licht war, ein letzter Blick ins Innere. Eine Sekunde lang spürte ich ein tiefes Bedauern. Es war kühl hier draußen. Jetzt erst wurde mir die Hitze bewusst, die in mir aufgestiegen und nicht allein die Folge von zweieinhalb Gläsern Bier war.
    Joachim Merz wandte mir nun den Rücken zu. Seine Hände bewegten sich, während er etwas erklärte. Die langgliedrigen Finger, die zu einem Dirigenten gepasst hätten.
    Und plötzlich veränderte sich etwas. Stahmke hob die Hand, schien in ihrer Tasche etwas zu suchen – und zog ein Handy hervor.
    Mein Herz machte einen Satz. Angespannt

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