Ich bin die, die niemand sieht
es an.«
Ich wollte es über mein schmutziges blaues Kleid ziehen, aber er stand auf, packte mich am Kragen und riss mir das alte Kleid vom Körper. Ich schrie auf und presste das neue schwarze Kleid an mich. Dann zog ich es an, so schnell meine zitternden Gliedmaßen es zuließen. Es war warm und kratzte auf der Haut. Es war zu groß und zu lang und ich war froh darüber.
IV
Wir folgen dem Weg zum Dorf. Es ist schon nach Mitternacht. Ich denke an die Frauen und Alten, die zu schwach waren, um zu fliehen. Bestimmt haben sie den Kampflärm gehört, aber sie wussten nicht, was er bedeutet. Sie werden staunen, wenn sie erfahren, dass wir gesiegt haben und dass die meisten von uns nach Hause kommen werden. Dass viele sterben mussten, ist dennoch entsetzlich.
Wir kommen näher. Ich rechne damit, dass jeden Augenblick Frauen aus den Häusern stürzen und uns nach Neuigkeiten fragen. Ich fürchte mich davor. In einem Moment wie diesem fände ich es nicht traurig, übersehen zu werden.
Aber niemand zeigt sich. Wir gehen am Dorfrand entlang nach Hause. Darrel krallt sich an den Zügeln fest, als befände er sich schon in Leichenstarre. Ich weiß nicht, ob er bei Bewusstsein ist. Sein gekrümmter Körper schwankt im Takt von Fees Schritten hin und her.
V
Im Schein einer Kerze blickt Mutter ängstlich aus dem Fenster, als sie den Hufschlag hört. Ich weiß, was sie denkt – wenn ein Reiter kommt, kann es sich nur um schlechte Nachrichten handeln. Als sie mich sieht, bleibt ihr der Mund offen stehen. Sie reißt die Tür auf, stürzt zu Darrel und bringt angesichts seines verstümmelten Fußes vor Sorge kein Wort heraus. Fee erwähnt sie nicht einmal.
Wir wuchten Darrel gemeinsam aus dem Sattel und fangen ihn auf, bevor sein verletzter Fuß den Boden berührt. Wie Ochsen vor dem Pflug schleifen wir ihn ins Haus und legen ihn aufs Bett.
Jip spürt die Unruhe im Haus und bellt so laut, dass er bestimmt das ganze Dorf aufschreckt. Aber ich kann nichts für ihn tun, denn dich habe ich leider nicht mitgebracht.
Mutter sagt nichts, aber sie schluchzt, tröstet und schnalzt besorgt mit der Zunge, während sie Darrel auszieht, wäscht und pflegt. Sie murmelt Gebete und Kosenamen. Wer sprechen kann, der muss es wohl auch, und wer es nicht kann, der bringt das Pferd in die Scheune, macht Feuer, kocht Wasser und schneidet Verbände zurecht.
VI
Irgendwann erträgt Mutter die qualvolle Stille nicht mehr. Sie bricht ihre eigene Regel und stellt mir eine Frage, die mich zum Sprechen zwingt.
»Was ist geschehen?«
Ich sehe sie an. Sie wird wütend auf mich sein, ob ich nun antworte oder nicht.
»Die Homelander?«, will sie wissen.
Ich schüttele den Kopf: Sie sind tot. Doch sie versteht mich nicht.
»Was meinst du?«
Ich fahre mir mit dem Finger quer über den Hals. Sie sieht mich mit großen Augen an. Dann lässt sie sich auf einen Stuhl fallen.
»Wer? Wir oder die?«
Ich tippe mir an die Brust und meine »wir«, dann schüttele ich den Kopf. Wie soll ich es nur erklären?
»Home-luuhn-us.«
»Ja?«
»Weeg.«
Sie runzelt die Stirn. »Weg?«
Ich nicke. Ein paar Laute gelingen mir ja noch: »Bumm!«
Mit ihrem breiten Lächeln habe ich nicht gerechnet. Es katapultiert mich sieben oder zehn Jahre zurück, in eine Zeit, als sie eine fröhliche Frau war. Lachend fragt sie: »Bumm? Die Homelander? Bumm?«
Sie schlägt die Hände vors Gesicht, kreischt, lacht und weint zugleich. Dann schürzt sie ihr Kleid und vollführt einen Freudentanz. »Bumm«, lacht sie. »Bumm.« Als wäre ich zwei Jahre alt und hätte erfolgreich ein neues Wort verwendet. Als wäre sie verrückt geworden.
Darrel stöhnt. An die Stelle meiner heiteren Mutter tritt wieder die nüchterne. Darrel hat eine schlimme Verletzung – aber Mutter hatte noch mit dem sicheren Tod gerechnet und freut sich nun, dass der Feind besiegt ist und wir am Leben sind.
Ich bin glücklich, zu dieser kurzen Freude beigetragen zu haben, auch wenn sie davon nie erfahren wird.
Ihre Stimme unterbricht meine Gedanken. »Wissen die anderen im Dorf schon vom Ausgang der Schlacht?«
Ich schüttele den Kopf. Soll ich die Nachricht verbreiten?
Sie sieht mich von der Seite an. »Ich sollte dich wohl ins Dorf schicken, damit du es ihnen erzählen kannst.« Sie zuckt die Schultern. »Die werden es noch früh genug erfahren. Du und Darrel und ich, wir bleiben hier. Wir werden schon sehen, was passiert.«
VII
Diese Nacht verbringe ich zu Hause. Das hätte ich nicht für möglich
Weitere Kostenlose Bücher