Ich bin die, die niemand sieht
sorgenschweres Herz, das in nur einer Schlacht Vater und Braut verlor und noch immer bei allen traurigen Pflichten vorangeht.
Du stößt die Schaufel in die harte, rote Tonerde, stöhnst unter der Anstrengung, gräbst weiter. Das Herz muss warten, wenn ein Grab ausgehoben wird, in dem Tobias Salt, der Sohn des Müllers, die letzte Ruhe finden soll.
Dir zuliebe würde ich sie hassen, aber wie kann ich jetzt anders, als sie zu lieben?
Ich würde rufen, dass du ein besserer Mann bist als Leon, aber zum Glück weiß Maria das nicht.
XVI
»Miss Finch«, grüßt du, als du mich auf der Straße triffst. Wir sind also wieder bei den Förmlichkeiten angelangt. »Haben Sie Darrel gestern sicher nach Hause gebracht?«
Ich schlucke. Dann nicke ich. Ja.
»Ganz allein?«
Ja.
Du klopfst mir auf die Schulter, wie du es auch bei einem deiner Männer tätest. Sie sind jetzt deine Männer. Doch dann ziehst du die Hand peinlich berührt zurück.
»Er hat Glück, Sie zur Schwester zu haben. Und dass Sie dort waren und sich um ihn gekümmert haben.«
Als du weitergehst, starre ich deinen Rücken an. Du weißt genau, dass ich nicht deshalb dort war.
Du weißt, dass ich deinen Vater an den Ort des Hinterhalts gebracht habe, aber du sagst nichts. Mein Schicksal und mein Ruf liegen in deiner Hand. Doch ich kann mich auf dich verlassen wie auf niemanden sonst. Du wirst dich ehrenhaft verhalten.
Als ich dachte, ich könne dich nicht noch mehr lieben, kannte ich dich noch nicht gut genug.
XVII
Die Sonne steht schon hoch am Himmel. Es gibt keinen Grund mehr, mich weiter hier herumzutreiben. Es gibt Gerüchte von versprengten Homelandern, die ihre Schiffe verlassen haben sollen, bevor … Ich denke es nicht zu Ende. Es scheint, dass niemand den Leuten im Dorf alles erzählt hat, was gestern Nacht geschehen ist.
Du bist fort und die wenigen Familien hier im Dorf haben sich zurückgezogen, um zu feiern oder zu trauern. Mechanisch schlage ich den Weg nach Hause ein. Auf halbem Weg merke ich, dass ich die Schubkarre vergessen habe. Ich lasse sie im Dorf. So habe ich einen Grund, noch einmal zurückzukehren.
Darrel ist wach. Mutter sitzt neben ihm auf dem Bett und füttert ihn mit Suppe. Er hat sein jahrelang erprobtes Krankengesicht aufgesetzt. Der leidende Ausdruck lässt Mutter weich wie Butter werden.
Doch diesmal ist er wirklich verletzt. Mutter wechselt die Verbände an seinem roten, geschwollenen Fuß. Die Wunde sieht fürchterlich aus. Teile des zerbrochenen Knochens ragen hervor und die blutroten Streifen auf der Haut sehen aus, als könnten sie jeden Moment aufplatzen.
»Hast du Melvin Brands irgendwo gesehen?«, fragt Mutter.
Ich überlege. Nein, weder vorhin im Dorf noch gestern. Von allen Männern in Roswell Station kommt er einem Arzt am nächsten, also nennen wir ihn »Doktor«. Falls er nicht tot auf dem Grund des Flusses liegt, wird er Darrel zur Ader lassen wollen, soviel ist sicher.
»War er gestern dabei?«, fragt Mutter. Darrel nickt.
So viele wurden verwundet – was ist, wenn unser Doktor tot ist? Er hätte nicht in den Kampf ziehen sollen.
»Was ist mit Horace Bron?«
Weder Darrel noch ich wussten, wo der Schmied war.
»Ich muss deinen Bruder betäuben. Füttere ihn noch ein bisschen, während ich alles vorbereite.«
Also füttere ich Darrel, bis die Schüssel leer ist. Seine schweißnasse Hand packt mich und seine Lippen formen die Worte: »Nicht Horace Bron.«
Horace führt in unserem Dorf die Amputationen durch.
XVIII
Ich bringe Fee ein paar Äpfel und führe sie dann nach draußen, damit sie etwas Auslauf hat. Wir haben eine eingezäunte Kuhweide, wo Fee sich austoben kann. Was sie von unserem Zaun hält, zeigt sie mir durch einen spielerischen Sprung. Ihr feiner, federnder Gang und der Schwung ihrer Mähne ziehen mich in Bann. Wie grazil sie sich bewegt!
Fee springt wieder über den Zaun und untersucht die Weide. Ich sehe ihr eine Weile zu.
Plötzlich ein durchdringender Schrei. Ich renne ins Haus. Mutter drückt Darrels Fuß in einen Bottich mit Salzwasser. Für einen mit Whiskey betäubten Invaliden legt Darrel beachtlichen Widerstand an den Tag.
»Hilf mir«, stößt Mutter hervor.
»Fass mich bloß nicht an, Wurm«, brüllt Darrel.
Die beiden haben einander zu dem gemacht, was sie sind. Am liebsten würde ich mich setzen und den Kampf aus sicherer Entfernung beobachten. Was soll ich tun? Soll ich parteiisch sein? Mit Wunden kennt Mutter sich aus. Wenn irgendeine Chance für Darrels Fuß
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