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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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hinsieht, breche ich ein Stückchen Käse von einem Laib ab und stecke es ihm zu. Mit seiner langen rosa Zunge schleckt er meine Hand.
    Ich bin eifersüchtig auf einen Hund.
    Er hat eine warme Zunge und wohnt bei dir.
    LII
    Darrel sitzt am Tisch. Wenn er nicht gerade Schmerzen hat, erledigt er kleine Aufgaben für Mutter. Als ihr nichts mehr einfällt, muss er ihr aus der Bibel vorlesen, während sie arbeitet. Ich beneide ihn um seine samtene Stimme, mit der er flüssig den Text vorträgt.
    Die Wunde heilt gut, was Mutter als Gnade bezeichnet. Morgens und abends wechselt sie Darrels Verbände und mit jedem Mal wird sein Protest schwächer. Ich muss mich zwingen, nicht auf das bizarre, unnatürliche Überbleibsel zu starren, das sein Bein nun ist. Ich sollte weiß Gott mehr Mitleid für jemanden empfinden, der einen Teil seiner selbst verloren hat.
    LIII
    Heute bringe ich einundzwanzig Eier aus dem Hühnerstall mit, und das um diese Jahreszeit! Ich lege Mutter die Hand auf die Schulter, aber sie dreht sich weg.
    Es ist also alles wie früher.
    LIV
    Inzwischen sind die Bäume kahl. Die Welt ist grau. Meine Suche nach Holz führt mich immer tiefer in den Wald.
    Der Wald erinnert mich an dich. Das Entsetzen über meine eigene Tat ist verblasst. Jetzt spüre ich nur noch diese Leere, weil ich dich nie wieder auf diese Art berühren werde.
    Doch dieser Gedanke ist unerträglich, also kümmere ich mich ums Überleben. Ich hole Feuerholz, du schlägst Bauholz. Du baust immer noch an dem Zimmer, das für Maria gedacht war.
    Ich hatte in letzter Zeit keine Gelegenheit, dir so zu folgen, wie ich es früher tat. Die Erinnerung daran ist mir beinahe peinlich. Ich habe kaum Zeit, an dich zu denken – das macht mich traurig und wundert mich zugleich.
    Dann tauchst du mit deinem Maultier zwischen den Bäumen auf. Es zieht einen Baumstamm hinter sich her. Du siehst aus wie ein Soldat, der von der Schlacht heimkehrt. Du bist wie eine Flut, wie ein vergessener Segen. Du raubst mir den Atem.
    LV
    Ganz früh mache ich mich allein zur Kirche auf, damit ich unbemerkt in meiner üblichen Ecke sitzen kann. Als ich an deinem Haus vorbeikomme, läuft Jip auf mich zu. Ich füttere ihn mit einer Brotkruste, die ich beim Frühstück mitgenommen habe. Jip und ich verstehen uns.
    Ich bin noch nicht lange in der Kirche, als das frisch vermählte Ehepaar Cartwright eintritt. Die beiden Verliebten ignorieren die bohrenden Blicke, mit denen die älteren Frauen Maria mustern. Als Maria mich entdeckt, eilt sie herbei und streckt mir die Hände hin. Ich zögere, weil ich ihren Ruf nicht weiter beschädigen will. Aber sie ist beharrlich und setzt sich mit Leon neben mich. Seit ihrer Hochzeit sind sie zum ersten Mal in der Kirche und haben noch keinen Stammplatz. Weder Marias Mutter noch Leons Familie sind glücklich über ihre Heirat.
    »Wir sind beide Aussätzige«, flüstert Maria.
    Es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass sie mich gerade als Aussätzige bezeichnet hat! Und sie lacht darüber! Sie neckt mich und meint es nicht böse. So etwas bin ich nicht gewöhnt.
    Als die Orgelmusik anhebt, nimmst auch du deinen Platz ein. Dein Gesicht wirkt eingefallen. Du scheinst mit den Gedanken woanders zu sein.
    Priester Frye erinnert uns an Christus’ goldene Regel, gemäß derer wir unseren Nachbarn lieben sollen wie uns selbst.
    LVI
    Nach der Kirche gehst du sofort nach Hause, statt dich noch mit den anderen zu unterhalten.
    »Denk an dein Versprechen«, erinnert mich Maria auf der Veranda. »Besuch mich diese Woche.«
    Ich nicke. Wie soll zwischen der Dorfschönheit und der Stummen eine Freundschaft entstehen?
    Eunice und ihre Schwestern beobachten uns, ohne sich zu nähern.
    Abijah Pratt steht auf dem Friedhof und blickt finster zu mir herüber. In einer Hand hält er den Gehstock, die andere stützt er auf Lottis Grabstein.
    LVII
    Beim Frühstück überrascht Darrel uns mit der Ankündigung, sobald er könne, werde er wieder zur Schule gehen. Vielleicht gebe es dort eine Zukunft für ihn. Und Lernen ist ein besserer Zeitvertreib als an die Decke zu starren.
    Darauf war Mutter nicht vorbereitet.
    »Und wie willst du den Schulweg zurücklegen?«
    »Wurm kann mir helfen. Mit ihrem Pferd.«
    »Wurm hat andere Pflichten.«
    Jetzt nennst du mich auch schon so, Mutter?
    Sie ist noch nicht fertig. »Und das Pferd kann nicht hierbleiben.«
    Darrel ist klug genug, nicht zu antworten. Ich helfe ihm zurück ins Bett. Er muss sich ausruhen.
    LVIII
    Am Nachmittag

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