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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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besuche ich Maria in ihrem neuen Haus. Es hatte vor der Schlacht dem Junggesellen Marshall Dabney gehört, aber der schläft jetzt auf dem Friedhof.
    Obwohl ich am liebsten umkehren und nach Hause laufen würde, zwinge ich mich anzuklopfen. Wie besucht man jemanden, wenn man nichts zu sagen hat?
    »Judith!« Sie umarmt mich. »Du bist gekommen. Ich freue mich so sehr.«
    Marshall Dabney hatte seine Hütte stets sauber gehalten. Maria hat sie schon mit einer Vase voll Goldruten sowie einer Decke und Glasgeschirr aus ihrer Mitgift dekoriert. Es ist mit Abstand die größte im Dorf.
    »Setz dich. Hier sind Brot und Butter.«
    »Geht es dir gut?«
    »Wird dein Bruder langsam gesund?«
    »Leon besucht gerade seinen Vater, wir sind also zu zweit.«
    »Ich habe Tee zur Hochzeit bekommen. Möchtest du eine Tasse?«
    »Möchtest du eingelegtes Gemüse zum Brot?«
    Ihre zuvorkommenden Fragen überspielen meine Unfähigkeit zu antworten. Sie holt die Konserven vom Regal. Ich frage mich, ob sie diese Art zu fragen vorher geübt hat. Sie will mir jede Peinlichkeit ersparen. Mit Mutter kann ich mich zwar verständigen, aber nur in einer Weise, die mich beschämt.
    Maria setzt sich wieder und lächelt mich an.
    »Du steckst voller Überraschungen. Ich werde nie den Tag vergessen, an dem du Leon mit einem Ei beworfen hast. Gott, was habe ich gelacht.«
    Ich werde rot.
    »Du weißt nicht, wie oft ich ihn schon gerne mit einem Ei beworfen hätte. Ich habe nur Ja zu Lucas gesagt, weil Leon nicht den Mumm hatte, mich zuerst zu fragen.«
    »Oh?«, frage ich, dann reiße ich mich sofort zusammen. Maria reagiert erst überrascht und im nächsten Moment erfreut. Ihre unkomplizierte Art lässt mich vergessen, dass ich ihr nicht antworten kann. Sie hat mich in die Zeit zurückversetzt, in der die Leute mit mir sprachen und ich ihnen Antworten gab.
    Ich hole eine Näharbeit aus meiner Tasche. Ich arbeite an einem Beutel für Darrel, in dem er seine Schulbücher transportieren kann. Der Beutel bekommt einen Schultergurt. So wird er besser das Gleichgewicht halten können.
    Maria erzählt weiter. »War es furchtbar von mir, dass ich Lucas Hoffnungen gemacht habe, Judith? Manchmal dachte ich, dass ich ihn heiraten würde, nur um Leon eins auszuwischen. Ich war so wütend auf ihn. Mit der Zeit aber wünschte ich, er würde sich als Mann erweisen und handeln. Mit Lucas um mich kämpfen! So verrückt war ich!« Sie hält inne und blickt aus dem Fenster. »Als er verwundet wurde, war mir mit einem Mal alles egal.«
    Ich kann sie nur ansehen. Wahrscheinlich sieht sie mir meine Verblüffung an. Ich bin nicht sicher, was mich mehr erstaunt: dass sie mir all das anvertraut oder dass sie Leon höher schätzt als dich. Aber ich bin so, so, so froh darüber.
    Marias Augen funkeln. »Judith, ich bin genauso schlecht, wie alle sagen. Jetzt weißt du, dass es stimmt.«
    Ein wirklich böses Mädchen. Ich muss lachen. Wenn sie mich neulich nachts im Wald gesehen hätte …
    »Und du bist jemand, dem nichts entgeht. Du bist nicht, was die Leute aus dir machen wollen, du bist nicht dumm. Komm! Wir wissen es beide. Vorher warst du sehr schlau, obwohl du nie damit angegeben hast wie manch anderes Mädchen, stimmt’s?«
    Maria nimmt eine Strickarbeit zur Hand. Socken. Wah rscheinlich für ihren Ehemann.
    »Wie schön! Du machst so feine, enge Stiche, Judith. Bestimmt kannst du mir das beibringen? Wird das eine Jagdtasche?«
    Interessiert sieht sie mich an. Ich schüttele den Kopf, aber damit gibt sie sich nicht zufrieden. Ob ich eine Antwort wagen soll? Mit den Lippen übe ich die Bewegung, bevor ich den Mut habe, die Laute zu bilden. Aber es sind Laute, die ich mir zutraue.
    »Buch«, sage ich mit kratziger, nasaler Stimme. Aber das Wort ist deutlich genug.
    Sie strickt weiter, beobachtet mich aber aus den Augenwinkeln. Wenn ich nur wüsste, was sie denkt! Mein Versuch zu sprechen scheint sie überhaupt nicht abgestoßen zu haben. Mutter muss ja nichts davon erfahren.
    »Du musst mich häufiger besuchen, Judith. Bestimmt bin ich oft einsam, vor allem wenn es Leon besser geht und er wieder den ganzen Tag arbeitet.« Zufrieden blickt sie sich in ihrer Hütte um. »Ich bin nun Herrin im eigenen Haus und kann einladen, wen ich will. Also bitte komm mich besuchen, Judith. Komm morgen wieder. Versprich es mir.«
    Sie will, dass ich wiederkomme. Dabei könnte sie jede andere junge Frau einladen, um die Einsamkeit zu vertreiben. Sie wartet auf meine Antwort. Ich

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