Ich bin die Nacht
Mann zu bringen. Dabei hielt er ihn mit der Waffe in Schach. »Was ist hier los?«
»Ein Irrer hat eine Geisel genommen.«
»Genauer.«
Der Mann schwieg trotzig.
»Machen wir es nicht komplizierter, als es sein muss«, sagte Marcus. »Ich brauche bestimmte taktische Informationen.«
»Weshalb sollte mich das interessieren?«
»Weil ich für den Mann verantwortlich bin. Ich hole ihn mir.«
Die Miene des Polizisten veränderte sich schlagartig. »Dann sind Sie der Kerl, von dem er spricht?«
»Was soll das heißen?«
»Er hat uns eine Nachricht geschickt. Er sagt, er wartet auf einen Freund. Wenn dieser Freund innerhalb von vierundzwanzig Stunden nicht hier ist, stellt er sich der Polizei.«
»Das können Sie vergessen. Er wird die Geisel töten und so viele Polizisten mit in den Tod nehmen, wie er nur kann, ehe Sie ihn erwischen. So weit lasse ich es nicht kommen. Das ist eine Sache zwischen ihm und mir. Jetzt sagen Sie mir schon, was ich wissen muss.«
Der Mann fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Der Verdächtige heißt Francis Ackerman, aber das wissen Sie ja schon. Die Geisel heißt Emily Morgan. Er ist mit ihr im fünften Stock, soviel wir wissen. Der Mann droht, alles mit Benzin zu tränken und anzuzünden. Wir halten uns zurück und warten auf einen FBI-Unterhändler, der von Denver hierherkommt.«
»Haben Sie bereits Zugriffspläne erstellt?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nicht mein Gebiet. Mehr weiß ich sowieso nicht.«
»Danke. Drehen Sie sich um.«
Der Mann gehorchte. Marcus trat einen Schritt vor, nahm ihm die Handschellen vom Gürtel und legte sie ihm um die Handgelenke. Dann löste er die Taschenlampe vom Gurt des Mannes.
»Überlegen Sie sich das gut. Was wollen Sie …«
Marcus blieb keine Wahl. Er schlug dem Cop den Pistolengriff auf den Hinterkopf und schickte ihn ins Reich der Träume. Dann zog er ihm die Autoschlüssel aus der Tasche und stieg in den Geländewagen. Er schaute zum Gebäude und berechnete den Weg, den er nehmen musste.
Okay. Der Augenblick der Wahrheit.
Mit dumpfem Grollen sprang der Motor an. Marcus legte den Gang ein, trat voll aufs Gas und jagte vom Parkplatz. Als er sich den Absperrungen näherte, hielt er die Hupe gedrückt. Die Zuschauer und Polizisten sprangen ihm hastig aus dem Weg. Das schwere Fahrzeug durchpflügte die Absperrung und hielt auf eine Reihe hintereinander geparkter Streifenwagen zu.
Ein Ruck ging durch den Geländewagen, als er gegen das Heck eines Streifenwagens krachte und ihn mit solcher Wucht zur Seite schleuderte, dass er ein paar Mal um die eigene Achse wirbelte. Dann pflügte das schwere Fahrzeug durch die unfertige Grünanlage und ratterte über den Plankenweg.
Marcus wappnete sich für den Aufprall.
Am Vordereingang des neuen Gebäudes stand eine große Säule aus Glas, die vom Boden bis zum Dach reichte. Ohne zu bremsen, raste Marcus dagegen. Das Fahrzeug durchbrach den durchsichtigen Turm und flog sechs, sieben Meter weit bis ins Foyer.
Glasscherben prasselten zu Boden wie Hagelkörner.
Marcus trat auf die Bremse und riss das Lenkrad herum. Der Geländewagen schleuderte durch die Lobby, prallte gegen die nagelneue Empfangstheke und kam zum Stehen.
Marcus stolperte aus dem Fahrzeug. Er hörte Schritte draußen vor dem Gebäude, die rasch näher kamen, und eilte tiefer in den Bauch der Bestie.
63.
Emily Morgan lag auf dem Boden, drehte die Handgelenke in den Handschellen und versuchte, eine bequeme Lage zu finden. Die Benzindämpfe, die aus dem Flur drangen, bereiteten ihr Übelkeit. Ihr Kopf dröhnte, und die Welt wirbelte um sie her.
Ihr war beinahe das Herz stehen geblieben, als sie eine ohrenbetäubende Explosion gehört hatte. Ackerman hingegen schien der Lärm nicht überrascht zu haben. Wortlos hatte er Emily weitergetragen bis in den großen Raum am hinteren Treppenhaus.
»Sie tun mir leid«, sagte Emily nun.
Er gluckste leise. »Ach, wirklich?«
»Aber ich vergebe Ihnen.«
Sein Gesicht wurde finster. »Ich brauche weder Ihre Vergebung noch Ihr Mitleid. Versuchen Sie nicht, zu mir durchzudringen und in mein Inneres zu schauen. Was Sie dort sehen könnten, würde Ihnen nicht gefallen.«
»Das bezweifle ich nicht. Es muss schlimm für Sie sein. Für mich war es in den letzten Tagen schwer genug, den Schmerz einer einzigen Nacht zu verkraften, in der ich meinen Mann verloren habe und alles, was ich hatte. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es für einen kleinen Jungen ist, in einem Albtraum zu leben,
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