Ich bin die Nacht
Kümmere du dich nur ums Abendessen.«
»Ganz wie du wünschst, meine teure Magdal…«
Sie legte ihm rasch einen Finger auf die Lippen. »Sei bloß still. Ich hätte dir den Namen nie verraten dürfen. Kommt mit, Kinder.« Sie nahm die Geschwister bei den Händen und führte sie zur Tür.
Alexei lachte leise. »Ich finde den Namen schön.«
Maggie würdigte ihn keiner Antwort.
***
Mit bedächtigen Schritten stieg Marcus die Stufen hoch. Es war lange her, seit er sein letztes Rendezvous gehabt hatte – besser gesagt eine Verabredung, bei der es ihm wichtig war, was daraus wurde. Das mit den Schmetterlingen im Bauch hatte er fast schon vergessen. Er wusste, dass die meisten Menschen in Augenblicken banger Erwartung dieses Flattern spürten, aber die Flügel seiner Schmetterlinge bestanden offenbar aus Rasierklingen.
Er hörte Schritte und blickte auf, doch mit dem Gesicht, das er sah, hatte er nicht gerechnet. Es gehörte Andrew Garrison, dem örtlichen Immobilienmakler. Er lächelte, als er näher kam. »Hallo, Marcus.«
Marcus hatte Garrisons Bekanntschaft gemacht, als er die Schlüssel zu seiner Ranch abgeholt hatte. Sie waren gut miteinander ausgekommen, aber in den Augen des Mannes lag etwas, das Marcus nicht gefiel. Sein Blick war seltsam stechend.
Garrison war ein schlanker, sportlicher Bursche mit blondem Haar. Ein gut aussehender Kerl. Marcus verspürte einen Stachel der Eifersucht und des Misstrauens, weil Garrison ihm auf Maggies Treppe entgegenkam, doch er schob diese Gedanken beiseite. Es gab keinen Grund für Eifersucht und Misstrauen.
»Hallo, Andrew«, erwiderte er den Gruß.
»Ich habe gehört, was heute Nacht los war. Machen Sie sich wegen dieser Schläger keine Gedanken. Als ich hierher gezogen bin, hatte Glenn mich ebenfalls auf dem Kieker. Aber die meisten Leute hier sind anders.«
»Sie stammen nicht von hier?«
»Nein, ich lebe erst seit zwei Monaten hier. Man kann hier sehr gut wohnen. Meine Courtage ist zwar nicht so hoch wie in der Stadt, aber das Leben ist viel billiger, sodass es sich ausgleicht. Tja, dann … einen schönen Abend wünsche ich.« Der Makler drückte sich an ihm vorbei.
Marcus nickte ihm zu und stieg weiter die Treppe hinauf. Vor Maggies Wohnung klopfte er an die Tür.
»Wer ist da?«, rief sie.
»Ich bin’s, Marcus.«
»Komm rein und setz dich. Ich bin gleich bei dir.«
Marcus ging zur Couch, nahm Platz und ließ den Blick durchs Wohnzimmer schweifen. Er schämte sich ein bisschen wegen seiner Neugier, aber seine Cop-Instinkte waren zu stark, und irgendetwas stimmte hier nicht. Er brauchte nicht lange, bis er wusste, was es war: Es lag nicht an dem, was hier zu sehen war, sondern an dem, was fehlte.
Nirgendwo gab es ein Foto. Keine Familienporträts, keine Erinnerungen an Grillfeste oder Strandpartys. Die Wohnung war geschmackvoll eingerichtet, hatte aber etwas Kühles, Distanziertes. Und nirgends gab es auch nur ein Staubkorn. Wie es aussah, würde jeder Winkel von Maggies Wohnung die Weißer-Handschuh-Probe bestehen. Darüber hinaus waren alle Bilder und Möbel in perfekter Symmetrie angeordnet. Nichts hing schief. Alles wirkte ausbalanciert.
Marcus schloss die Augen und rief sich zur Ordnung. Das hier ist keine Ermittlung, Junge. Du bist kein Cop mehr. Schalt ab.
Als er die Augen wieder öffnete, zuckte er überrascht zusammen. Zwei kleine Kinder standen vor ihm und musterten ihn neugierig.
»Bist du müde?«, fragte der Junge.
Marcus lächelte. »Nein.«
Der kleine Junge hielt ihm die Hand hin. »Ich bin Alex, und die da ist Abigail, meine Schwester. Und wer bist du?«
»Ich … äh«, stammelte Marcus überrumpelt.
Zu seiner Rettung erschien Maggie.
»So, Kinder«, sagte sie. »Ihr geht jetzt wieder nach unten. Heute Abend möchte ich Marcus ganz für mich allein haben.«
Nachdem die Kinder johlend zur Tür hinausgerannt waren, fragte Marcus argwöhnisch: »Deine?«
»Himmel, nein. Unser Küchenchef passt heute auf seine Enkel auf. Ich habe ihm angeboten, sie zu mir zu holen, während er uns das Essen macht.«
»Verstehe.«
»Erleichtert oder enttäuscht?«
Er schien über die Antwort nachzudenken. »Ein bisschen von beidem, nehme ich an.«
***
»Deine Augen haben unterschiedliche Farben«, sagte Maggie beim Essen. »Das eine ist graugrün, das andere braun.«
»Stimmt. Die meisten Leute übersehen es. Man nennt es sektorielle Heterochromie.«
Maggie lachte. »Hört sich gefährlich an. Ist das eine Krankheit? Ansteckend ist es ja
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