Ich bin die Nacht
wohl nicht, oder?«
»Keine Bange. Ich bin einfach nur jemand mit einem komisch gefärbten Auge.«
»Und welches ist das komisch gefärbte? Das grüne oder das braune?«
»Such es dir aus.«
»Ich hab mir gleich gedacht, dass du Macken hast.«
»Was ist mit dir? Hast du keine?«, fragte Marcus.
Maggie richtete ihr Besteck aus und faltete die Serviette zu einem makellos symmetrischen Quadrat zusammen. »Nein, ich bin ganz normal.«
Er grinste. »Niemand ist ganz normal.«
»Ich schon.«
»Du leidest nicht unter Zwangsstörungen?«
Sie runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf?«
»Deine Wohnung ist zwanghaft ordentlich. Alles ist im perfekten Gleichgewicht. Und wenn du isst, schneidest du jeden Bissen gleich groß ab. Du vergewisserst dich, dass das Besteck, das du nicht benutzt, ganz gerade liegt. Deine Serviette hast du zu einem Quadrat gefaltet. Und als du dir den Süßstoff in den Tee geschüttet hast, musstest du unbedingt die Markierung beider Tütchen aneinander ausrichten, ehe du sie aufgerissen hast. Du hast sogar ein Tütchen zurückgelegt, weil es länger war als das andere.«
Maggie kam sich nackt vor. Sie setzte zu einer Antwort an, schwieg dann aber und starrte auf den Tisch.
Marcus streckte die Hand aus und legte sie auf ihre Finger, die nervös mit einem Salzstreuer spielten. »Der Wunsch nach einer sinnvollen Welt ist nicht verkehrt.«
»Aber mein Ordnungsfimmel ist nicht sinnvoll. Es gibt keinen triftigen Grund dafür. Den meisten Leuten fällt es gar nicht auf, und ich versuche es zu verbergen. Dabei komme ich mir vor wie eine Verrückte.«
»Ist es für dich denn sinnvoll, was du tust?«
»Wie meinst du das?«, fragte sie.
»Wir alle haben unsere kleinen Ticks. Ich zum Beispiel sitze immer mit dem Gesicht zum Eingang. Ich möchte immer wissen, was sich hinter meinem Rücken abspielt. Wenn ich ein Zimmer betrete, achte ich als Erstes auf die Eingänge und Ausgänge. Ich überlege, was in dem Raum als Waffe benutzt werden könnte. Ich frage mich, was ich tun würde, wenn jemand mit einer Waffe in der Hand zur Tür hereinkäme. Wo könnte ich am besten Deckung finden? Was sehe ich an ungewöhnlichen Dingen? Was fehlt? Das alles geht mir jedes Mal durch den Kopf, wenn ich einen Raum betrete. Manche Leute nennen es Cop-Instinkt. Ich nenne es Paranoia.«
Marcus drückte Maggies Hand, und sie begegnete seinem Blick.
»Ich habe auch keinen triftigen Grund dafür«, fuhr er fort. »Niemand ist hinter mir her. Ich habe keine Feinde … jedenfalls keine, von denen ich weiß. Vielleicht wird mir diese Gewohnheit eines Tages das Leben retten, aber sehr wahrscheinlich ist das nicht. Die Chancen stehen gut, dass ich nie in eine entsprechende Situation komme. Ich kann aber nicht anders, ich muss mein inneres Programm ablaufen lassen. Es liegt mir im Blut. Genau wie dir der Ordnungsfimmel.«
Sie lächelte ihn an. »Vielen Dank.«
»Wofür?«
»Dafür, dass du noch seltsamer bist als ich.«
Nach dem Essen fragte Maggie: »Wie wär’s, wenn ich dich deiner Nachbarin vorstelle?«
»Mrs. Hill?«
»Ja. Sie ist eine nette alte Dame.«
»Genau wie du.«
»Witzbold.«
»Sollten wir nicht vorher anrufen?«, fragte er.
»Aber nein. Sie hat alle Zeit der Welt und freut sich jedes Mal, wenn jemand bei ihr vorbeischaut.«
»Okay«, sagte Marcus. »Dann los.«
***
Maggie saß am Steuer. Nachdem sie ein paar Minuten unterwegs waren, fragte Marcus: »Wo arbeitest du eigentlich? In der Bar, wo wir uns kennengelernt haben, hilfst du nur aus, oder?«
Maggie nickte.
»Hast du einen Tagesjob?«
»Ja. Ich arbeite in Garrisons Maklerbüro.«
»Verstehe.«
Maggie hörte irgendeinen Unterton in seiner Stimme. Begreifen? Erleichterung? Sie wunderte sich über die Reaktion, fuhr jedoch fort: »Aber auch das ist nur ein Job, bis ich meinen Abschluss in Psychologie habe. Ob du’s glaubst oder nicht, ich war sogar mal Deputy meines Vaters, aber … na ja, das hat dann doch nicht geklappt. Ich hatte mir damals aber ernsthaft überlegt, weiter bei der Polizei zu arbeiten.« Sie lachte leise. »Wer weiß, vielleicht bewerbe ich mich beim FBI.«
»Ich möchte ja nicht die Regeln für das zweite Date übertreten«, sagte Marcus, »aber das Verhältnis zwischen dir und deinem Vater scheint mir ein bisschen angespannt zu sein.«
»Ja, stimmt. Mein Vater ist ein netter Kerl, aber er hat seine Eigenheiten.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Wie sind deine Eltern denn so?«
In Marcus’ Gesicht erschien ein
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