Ich bin die Nacht
doch Ackerman war sicher, dass seine Bewohner genauso gastfreundlich sein würden.
Dann würde er dafür sorgen, dass sein Besuch für die Leute ein ebenso großes Erlebnis wurde wie für Maureen Hill.
Er grinste. Ein einschneidendes Erlebnis, im wahrsten Sinne des Wortes.
Es war ein Haus im Ranchstil mit einer rissigen alten Aluminiumfassade. Die Traufbretter hingen an mehreren Stellen durch und waren von Lücken durchsetzt. Ein schmutziger grüner Chevrolet El Camino, der aus dem letzten Loch zu pfeifen schien, stand in der Auffahrt, und im dürren Bewuchs des Hofes entdeckte er eine Hollywoodschaukel.
Man sah sofort, dass die Familie, die hier wohnte, nicht viel Geld besaß, aber das spielte für Ackerman keine Rolle. Schwarz oder Weiß, Reich oder Arm – er tötete ohne Ansehen der Person.
Entschlossenen Schrittes durchquerte er den Vorgarten und schlich an der einladenden Veranda vorbei wie ein Löwe, der durch hohes Gras streift. Gier erfasste ihn. Wenn er sie nicht bald befriedigte, würde sie ihn von innen heraus zerfressen.
Er ging um das Haus herum in den Hof, wo er in einem Fenster Licht entdeckte. Mittlerweile zitterte er vor Mordlust. Doch er hatte gelernt, seine Gier so weit zu zügeln, dass er die Vorsicht nicht vergaß.
Langsam und fast lautlos schlich er weiter.
Schließlich war er nahe genug heran, dass er durch das Fenster ins Innere des Hauses spähen konnte. Er sah eine hübsche junge Frau Ende zwanzig, die in der Küchenspüle Geschirr abwusch. Ihr braunes Haar war zerzaust, und obwohl sie es zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, fielen ihr Strähnen über die Wangen. Sie erinnerte ihn an irgendjemanden, aber er konnte die vage Vertrautheit nicht greifen.
Die Frau trug ein hellblaues Tanktop und eine schmutzige Bluejeans. Doch so hübsch sie auch war – sie machte einen erschöpften Eindruck. Unter ihren schönen grünen Augen lagen dunkle Schatten.
Was hat sie für Kummer? , fragte sich Ackerman. Der Job? Geldsorgen? Ein untreuer Ehemann? Gewissensbisse, weil sie selbst fremdgeht?
Er beobachtete sie, saugte ihren Anblick in sich auf, war berauscht von ihr. Ihn überfiel das heftige Verlangen, sie in die Arme zu nehmen, sie zu lieben. Er wollte sie an sich drücken, wollte ihr ins Ohr flüstern, dass alles in Ordnung käme. Er war stark. Er konnte sie beschützen. Er konnte ihr geben, woran es ihr fehlte. Er hatte immer davon geträumt, einen anderen Menschen zu lieben. Außer in den fernen Erinnerungen an seine Mutter hatte er nie Liebe erfahren, hatte nie geliebt und war nie geliebt worden. Er fragte sich, ob es möglich wäre, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und neu anzufangen.
Du bist es nicht wert, geliebt zu werden, sagte eine altbekannte Stimme in seinem Innern. Du bist der letzte Dreck. Der schlimmste Abschaum.
Ackerman kniff die Augen zusammen, presste die Fäuste an die Schläfen, wehrte sich gegen die Stimme seines Vaters, konnte sie aber nicht zum Schweigen bringen.
Lass uns ein kleines Spielchen spielen, Francis.
Nein! Er wollte nicht mehr spielen. Er wollte, dass das Spiel endlich vorbei war.
Töte sie, drängte die Stimme, und die Schmerzen hören auf. Töte sie!
Doch er wusste, dass die Schmerzen nicht aufhören würden. Sie hörten niemals auf.
Er dachte daran, wie er zum ersten Mal getötet hatte. Sein Vater hatte für sein kleines Experiment eine streunende Katze eingefangen. Er befahl seinem Sohn, das Tier zu töten, aber der Junge wollte nicht, konnte nicht. Doch als er sich weigerte …
Ackerman fuhr sich unbewusst über das Narbengewebe an den Armen.
Töte sie, und die Schmerzen hören auf.
Doch ganz gleich, was er tat, ganz gleich, wen er tötete, sein Vater hatte die Schmerzen niemals enden lassen.
Während er die junge Frau weiter beobachtete, dachte er an die wundervollen Dinge, die ihm für immer verwehrt bleiben würden. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit heißer Wut. Mit einem Mal verkörperte die Frau im Fenster nicht mehr das Gute, das hätte sein können. Stattdessen stand sie für alles, was ihm gestohlen worden war und was er niemals kennenlernen durfte.
Plötzlich hasste er sie, hasste alle Menschen. Er würde ihnen nehmen, was ihm schon lange genommen worden war.
Das Leben.
14.
Marcus kam es vor, als wäre er tausend Meilen weit marschiert. Er war hundemüde, konnte sich aber keine Rast erlauben. Der Sheriff und sein Deputy würden nicht eher ruhen, bis sie ihn gefunden hatten. Ihnen blieb gar keine andere Wahl.
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