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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ethan Coss
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verringert.
    Ackerman schob ihr die Waffe über den Tisch hinweg zu. »Alles klar? So macht man das. Stellen Sie sich einfach vor, Sie drücken einen Lichtschalter, nur dass Sie statt des Stroms, der zu einer Glühbirne fließt, den Lebensfaden eines Menschen kappen. Keine große Sache. Ich habe irgendwo gelesen, dass in jeder Sekunde eins Komma acht Menschen sterben. Das sind über hunderttausend pro Tag. Wenn ich euch drei umbringe, seid ihr nur eine kleine Abweichung von der Statistik, nur ein weiterer Eintrag auf der Todesliste. Ihr seid unbedeutend. Welche Rolle spielt es da, ob ich euch heute töte, oder ob ihr in einem Jahr bei einem Autounfall sterbt, oder in zwanzig Jahren an einer Krankheit? Im größeren Zusammenhang betrachtet, wird euch niemand vermissen. Ihr dürft sogar selbst entscheiden, wer als Erster abtritt. Ist das nicht fair? Das ist so, als würde man ein Foto knipsen, nur dass jemand stirbt.«
    Alice starrte auf die Waffe vor sich. Vorhin hatte sie alles riskiert, um den Revolver in die Hände zu bekommen, weil sie hoffte, er würde ihr Erlöser sein, doch jetzt war er ihr Richter.
    »Nehmen Sie ihn.«
    Sie wusste, dass die Aufforderung am anderen Ende des Tisches ausgesprochen wurde, doch sie erschien ihr seltsam gedämpft und aus weiter Ferne zu kommen. Die Welt schien anzuwachsen und zu schrumpfen, als wäre hinter ihren Augen ein Spiegelkabinett. Ehe sie wusste, was sie tat, hatte sie die Hand ausgestreckt und die Waffe vom Tisch genommen.
    Die Entscheidung war offensichtlich.
    Ich zuerst.
    Sie setzte sich die Waffe an den Kopf. Ihr war schwindlig, und eine schreckliche Kälte durchdrang ihren Körper. Noch einmal öffnete sie die Augen, blickte sich im Zimmer um und warf ihren Kindern einen liebevollen Blick zu. Es tut mir leid, dachte sie. Ich hätte euch so gern geholfen …
    Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie verlor einen Moment den Mut und nahm die Mündung weg. Dann straffte sie sich wieder.
    Sie wusste, was sie zu tun hatte. Es ging nicht anders. An ihr eigenes Leben dachte sie nicht mehr. Nur die Rettung ihrer Kinder zählte noch. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund glaubte sie, dass Ackerman ihren Kindern tatsächlich nichts antun würde, wenn sie starb. Vielleicht war es eine Eingebung, vielleicht nur ein frommer Wunsch, aber sie klammerte sich verzweifelt an diesen Gedanken, der ihr die Kraft gab zu tun, was getan werden musste.
    Sie drückte ab.
    Klick.
    Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie seit dem Moment, in dem sie die Waffe genommen hatte, den Atem anhielt. Sie gab die angestaute Luft frei und schnappte nach Sauerstoff. Ihr Schwindel ließ nach.
    Ich lebe noch.
    Erleichterung durchströmte sie, doch das Gefühl hielt nur eine Sekunde an. Als sie zu ihren Kindern blickte, wünschte sie sich, sie wäre tot.
    Dann schaute sie zum anderen Ende des Tisches und sah das grinsende Gesicht des Irren.
    Alice wusste, warum er grinste.
    Er war deshalb so aufgedreht, weil das Spiel jetzt erst richtig interessant wurde.

28.
    Die beiden Autos rasten die Zufahrt entlang. Marcus sah deutlich die Blaulichter. Wie haben sie mich gefunden?, fragte er sich. Er hatte an der Unfallstelle das Funkgerät und das Handy zerstört, und der Trooper war nach dem Crash bewusstlos gewesen.
    Deshalb konnte der Sheriff unmöglich sicher sein, dass Marcus in dem Haus war. Wenn sie ihre Karten richtig ausspielten und eine gute Vorstellung gaben, überzeugten sie ihn vielleicht. Das jedoch bedeutete, von allen Brubakers zu verlangen, sich dem Sheriff in den Weg zu stellen.
    Wie aber konnte Marcus verlangen, dass Allen hinausging, den Sheriff wie einen alten Freund begrüßte und ihm erklärte, dass nichts Außergewöhnliches geschehen sei? Was, wenn der Sheriff irgendeinen Verdacht hegte und die Gerüchte, die Allen gehört hatte, der Wahrheit entsprachen?
    Marcus wandte sich dem älteren Mann zu, und ihre Blicke trafen sich. Allen nickte, und Marcus wusste, dass er nicht zu fragen brauchte. Allen war klar, was auf dem Spiel stand, und würde tun, was er zu tun hatte.
    Er griff in die Tasche, zog seine Waffe hervor und reichte sie Marcus. Zu seinem Sohn sagte er: »Charlie, lauf hoch ins Schlafzimmer. Auf dem Bett liegt der Kasten für die Pistole. Bring ihn herunter. Beeil dich.« Der Junge flitzte los. »In dem Kasten sind noch zwei volle Magazine«, sagte er zu Marcus, »jedes mit sechzehn Schuss.«
    »Allen, ich …«, setzte Marcus an.
    »Bleiben Sie einfach der gute Kerl, der Sie sind. Alles

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