Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Rechtfertigungsdiskussionen mit einem Trick aus dem Weg zu gehen: Man lagert verdächtige Tüten in der Garage zwischen und schmuggelt sie später in die Wohnung. Fragt dann irgendwer nach: neu?, kann man immer noch sagen: nein, vom vorletzten Jahr, aber jetzt passt es wieder.
Neulich allerdings fand Clara eine Tüte in der Garage mit Bon und Etikett und eindeutig nicht vom vorletzten Jahr. Sie stellte mich zur Rede.
Jochen grinste, als er das hörte. »Jetzt musst du dir wohl ein anderes Versteck suchen«, sagte er, »wie wär’s mit vergraben.« Ich stellte mir daraufhin vor, wie alle Mütter in unserem Hof ihre Beute unter den Bäumen vergruben, um kurz darauf umherzuirren und sich gegenseitig zu fragen: »Ich habe hier eine grüne Chino gefunden, hast du vielleicht meinen Chanel-Flakon gesehen?« Und dann scharren wir zwischen den Blättern.
Da ist es gut, dass bald Weihnachten ist. Das macht die Sache deutlich einfacher. Selbst strenge Zollfahnderinnen
sehen ein, dass Tüten in der Vorweihnachtszeit nicht inspiziert werden dürfen – sonst ist ja die Überraschung weg! Und: Statt heimlich Einkäufe draußen unterm Baum zu vergraben, nehmen wir den Baum einfach mit rein und legen die Sachen offiziell drunter.
Deshalb Mütter, jetzt ist die Gelegenheit: Shop till you drop! Im Januar ist’s schon wieder vorbei.
Rettet den Sonntagsbraten!
Kleine Kinder müssen essen, was auf den Tisch kommt. Größere Kinder essen, was sie wollen. Mir macht das Bauchschmerzen.
Vor einiger Zeit las ich in der Zeitung einen Artikel, der mich aufschreckte. In der Meldung ging es um den Sonntagsbraten. Es gehe ihm schlecht, hieß es. Kaum noch eine junge Familie versammle sich mittags um zwölf nach der Kirche um ihn. Kaum noch eine junge Mutter wisse überhaupt, wie man ihn mache (und die Väter natürlich auch nicht). Würde man den aussterbenden Sonntagsbraten befragen, wie es zu seinem Siechtum kommen konnte, würde er wahrscheinlich sagen: Das liegt daran, dass ihr heute alle keine Zeit habt. Ihr findet es zwar toll, Kochsendungen zu gucken – aber selber kochen wollt ihr nicht mehr. Stattdessen macht ihr dauernd auf »to go« und esst den ganzen Tag nebenbei.
Und vielleicht würde er auch drohen: Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt – wenn ich aussterbe,
nehme ich all die Sauerbratenrezepte, Speckspicktechniken, Lorbeerblattwürzmengen und natürlich auch Oma Maries Geheimtrick für die weltbeste Senfkruste mit ins Grab.
Ich könnte dann entgegnen: Macht nichts. Ich brauch nicht unbedingt Fleisch – ist ja gar nicht so gesund. Und die Ökobilanz – verheerend…
Aber was ist mit den vielen gemütlichen Stunden am Tisch, der Esskultur, dem Familiensilber, dem schönen Ritual, das Leib und Seele zusammenhält?, würde der Sonntagsbraten dann entgegnen.
Und dann ich müsste zugeben: Ich habe schon länger nicht mehr über unsere Essgewohnheiten nachgedacht.
Nicht, dass bei uns alle im Stehen essen. Oder es nie was Selbstgekochtes gibt, nein, das nicht. Auch ist keiner von uns zu dick, hat Querrillen auf den Nägeln, glanzloses Haar oder andere Anzeichen für Fehlernährung. Aber mir fällt auf, dass das Thema früher als die Kinder klein waren, viel präsenter war: Damals führte ich kämpferische Diskussionen mit Nachbarinnen, die Clara mit 14 Monaten ein Stück Kinderschokolade unter die Nase hielten. Ich stand ewig vor Babygläschen-Regalen und las die Zutatenlisten oder ging in drei verschiedene Gemüseläden, bis ich endlich allergiearme Pastinaken fand.
Dann wurden die Kinder groß und stark: Sie wuchsen wie es sich gehörte, nahmen zu wie es sich gehörte. Und naschten Schoki wie es sich gehörte.
Und heute? Weiß ich oft gar nicht so genau, was sie an einem langen Schultag so alles essen. Um mir mal wieder ein Bild zu machen, habe ich deshalb recherchiert. Folgendes habe ich gefunden:
Tisibes, die mittags das Essen vergessen
Unter der Woche essen meine Kinder mittags in der Schule. Warm! Viel mehr weiß ich nicht. Jette allerdings auch nicht: »Was gab’s zu essen heute«, fragte ich neulich. Mein Kind zuckte die Schultern. »Ich glaub Suppe und Pudding!« »Wie, du glaubst – warst du nicht dabei?« »Doch, aber ich bin jetzt Tisibe!«??
Tisibes, wurde mir daraufhin erklärt, hätten während der Nahrungsaufnahme Wichtigeres zu tun als essen. Tisibes müssten aufpassen, dass keiner rumschreit, keiner kippelt und keiner mit dem Messer rumfuchtelt. »Tisibe ist nämlich die Abkürzung für
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