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Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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Augen starrten blicklos durch mich hindurch. Sie war wunderschön. Perfekt. Ihr ovales Gesicht von porzellanweißer Blässe, fast aristokratisch im Schnitt. Zart gewölbte Brauen und blonde Locken, die ihr weit über die Schultern fielen. Engelsgesicht. Entrückt und fern dieser Welt. Jenseits des Schmerzes. Jenseits. Tod. Todesengel. Engel des Todes. Toter Engel. Ich konnte ihr helfen, ihr Schicksal zu vollenden.
    Ein feines Lächeln huschte über ihre Lippen, als ich fragte: ›Träumst du etwas Schönes, mein Engel? Ich schenke dir etwas. Einen Traum, der ewig dauert. Aus dem du nicht mehr erwachen musst.‹
    Ich zog den Riemen an ihrem Arm fest. Sehr fest. Es war zwingend notwendig, die Ader genau zu erkennen.
    Den Körper zu berühren, solange er noch warm ist, und dann zu fühlen, wie die Kälte Besitz von ihm ergreift, diese Möglichkeit erfreut mich immer wieder aufs Neue. Eine elektrisierende Idee packte mich. Ich wollte es ungefiltert spüren. Haut auf Haut. Eine absolut verlockende Überlegung. Doch nur für einen Moment. Noch nicht. Nicht heute. Das zu tun, erforderte einen neuen Plan und die anschließende restlose Beseitigung meiner künstlerischen Arbeit. Ein wenig bedauerte ich es, die dünnen Latexhandschuhe tragen zu müssen. Aber ich wäre nicht ich, wenn ich über diesen Gedanken die Notwendigkeit der korrekten Ausführung des folgenden Aktes aus den Augen verlöre. So beschoss ich, an diesem Abend einem anderen meiner Sinne zum Genuss zu verhelfen. Das Messer glänzte in der spärlichen Beleuchtung doppelt verlockend. Anmutig und schön. So wie sie. Das Blut staute sich. Ich legte das Messer in ihre Handfläche, krümmte ihre Finger zur Faust und umschloss sie mit meiner eigenen. Sachte legte ich den linken Arm um ihre Schulter, damit sie nicht umkippte. Ich berührte ihr Engelshaar mit meinem Gesicht. Für einen Augenblick empfing ich ihren Duft und zögerte. Sie stank. Nach Dreck, Alkohol und Gosse. War sie überhaupt wert, dass ich ihr diesen Gefallen erwies? Doch. Ja. Vielleicht war es so sogar noch besser. Ein schmutziger Engel, durch den Tod vom Elend befreit. Poetisch. Ein einziger, zügig ausgeführter Schnitt. Präzise, tief und kraftvoll. Die scharfe Klinge glitt leicht, spielerisch durch das zarte Fleisch; schob sich zielsicher vorbei an den Sehnen und durchtrennte die Ader in der Länge. Vom Handgelenk bis zur Ellenbeuge. Sie zuckte nicht einmal. Nur ein kurzes Stöhnen. Welch unerhört schöner Laut. Ich senkte die Hand mit dem Messer in ihren Schoß. Dann wechselte ich auf die gegenüberliegende Seite des Schuppens, um sie anzusehen. Vollkommen. Das schöne Gesicht blickte weiter unverwandt ins Leere, während pulsierend, in kräftigen Stößen, das Blut aus ihrem Unterarm sprudelte. Etwas mehr Mondlicht, und ich hätte das lebendige Rot erkennen können, das ihren Körper für immer verließ. Doch besser noch war das trübe Licht der Gleisanlagen, das sich über sie breitete. Die Verheißung der immerwährenden Kälte, die sie bald umfangen sollte. Gespenstisch schön. Meine Inszenierung. Und der Himmel gab seinen Segen. Spielte die passende Melodie, als der Regen prasselnd auf das Blechdach trommelte. Finale. Abgang. Ein Blitz flammte auf. Ihre Augenlider flackerten. Ein kurzes Rucken, der Kopf sank nach vorn auf die Brust. Unter ihrem Körper bildete sich eine Pfütze, als ihre Muskulatur erschlaffte. In der Ferne ein Donnerschlag. Ende der Choreographie.«
    * * *
     
    »Weißt du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast?« Alexandra drehte sich auf den Bauch und schubste Jörg, der lang ausgestreckt neben ihr lag.
    »Ich? Aber doch nicht heute!«
    »Nein. Damals, als du regelmäßig zu meinem Bruder kamst. Ich war so unglaublich verliebt in dich, aber das hat dich nicht interessiert.«
    »Du warst ein Baby«, murmelte er verschlafen und sie schubste ihn wieder. Diesmal mit mehr Nachdruck.
    »Ich war dreizehn!«
    »Sag ich doch, ein Baby. Immerhin war ich fast zwanzig.«
    »Na und? Die sieben Jahre Unterschied waren dir später ganz egal.«
    Er zog die Decke nach oben, die ihn von der Hüfte abwärts bedeckte. Nur die breiten Schultern blieben nackt.
    »Stimmt. Aber da wolltest du nichts mehr von mir wissen. Egal, wie sehr ich dich umworben habe.«
    »Gebaggert trifft es besser. Schmeichelhaft, aber penetrant. Irgendwie war es immer der falsche Moment.«
    Er tippte ihr auf die Nase und grinste.
    »Fühlt sich aber ziemlich richtig an im Augenblick.«
    »Im Augenblick.

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