Ich bin ein Mörder
»Männer!« Dann beugte sie sich nach vorn über seine glatt rasierte Brust, um ihn zu küssen, und vergaß Tobias Stockmann für eine weitere Stunde.
Mittwoch, 24. Oktober
Die rostigen Spielgeräte auf dem Sandplatz vermittelten einen Eindruck von Trostlosigkeit. Nur wenige Familien wohnten noch in den klotzigen Häusern mit den bunten Graffitis an den Wänden. Vier Gebäude mit je fünf Etagen, um eine gemeinsame Gartenanlage angeordnet, um die sie gelangweilt herumhockten, mit ihren abwaschbaren Siebzigerjahre-Fassaden. Ein verblasster Hauch von Gemütlichkeit. Trotzdem lebte Alexandra gerne hier. Vor allem Pärchen und Singles nutzten den bezahlbaren Wohnraum in verkehrsgünstiger Lage. Genau wie sie. Sie brauchte weder ein heimeliges Ambiente noch engen Kontakt zu den anderen Mietern. Ihr genügte die Ruhe, die sich durch die Ausrichtung der Wohnung zum Garten ergab.
Am meisten liebte sie ihren großen Balkon. In jedem Frühjahr startete sie einen Großeinsatz, um mit Hingabe die Pflanzen umzutopfen, zu schneiden und neu zu befestigen. Sehnsüchtig erwartete sie den Sommer, den sie hinter dichten, blühenden Kletterpflanzen im lichten Schatten verbringen konnte. Gerade noch ein fensterbreiter Ausschnitt blieb offen, für den Blick nach unten. So konnte sie Besucher schon auf Entfernung kommen sehen, denn der nächstgelegene Parklatz befand sich hinter dem gegenüberliegenden Gebäude. Jetzt wurde es bald Zeit, sich auf den Winter vorzubereiten. Alexandra wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. Ihre Hände klebten von der schweren, feuchten Erde, in der sie gegraben hatte.
Überrascht entdeckte sie Tobias, der unten mit weit ausholenden Schritten über den gepflasterten Weg ging, zwischen dessen Platten fröhlich das Unkraut spross.
»Tobias! Willst du zu mir?« Hocherfreut winkte sie ihm zu. Er legte die Hand über die Augen und blinzelte gegen die tief stehende Sonne.
»Wenn du mich reinlässt?«
Eilig putzte sie die Hände an einem Tuch ab, sammelte im Vorbeigehen verstreute Wäschestücke auf und stopfte sie hastig unter das Sofa. Ein rascher Blick in den Spiegel, die unfrisierten Haare mit den gespreizten Fingern zurechtgezupft, tief durchgeatmet und auf die Tür! Entspannt lehnte Tobias bereits im Türrahmen.
»Na, meine Liebe, noch schnell alle Geheimnisse versteckt?«
Ertappt errötete sie und er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
»Ich werde nicht danach suchen. Versprochen.«
Wieso durchschaute er sie so leicht? Stand auf ihrer Stirn geschrieben: Ich bin zwar eine Frau, aber ich führe einen schlampigen Junggesellenhaushalt, der eines Mannes würdig wäre? Verwirrt kaute sie auf ihrer Oberlippe.
»Sprachlos?« Er schnippte mit den Fingern vor ihrer Nase.
»Du hast mich kalt erwischt! Ich habe gerade Gärtner gespielt und bin einigermaßen dreckig und verschwitzt. Da bringt Besuch schon mal das Konzept durcheinander.«
»Hast du den grünen Daumen?«
Skeptisch beäugte er die beiden inzwischen ziemlich vertrockneten Rosensträuße.
»Das ist was anderes. Ich konnte mich einfach noch nicht von ihnen trennen. Komm auf den Balkon, dann siehst du meinen privaten Dschungel.«
Tobias betrachtete mit mäßigem Interesse ihre Pflanzen.
»Dieses Haus ist eine Bausünde in Beton«, stellte er fest. »Mit mittelalterlichen Schießscharten.« Geschmeidig sank er in die Hocke, spähte durch die Schlitze in der breiten Balustrade, federte wieder nach oben und beugte sich weit über das Geländer. »Was ist das denn?«
Alexandras Blick folgte seiner ausgestreckten Hand in die Tiefe.
»Einer der Nachbarn hat auf eigene Faust angefangen, den Garten umzugestalten, die Sache geht jetzt vor Gericht.«
»Das hat wirklich besonderen Charme. Ein Eisenzaun mit scharfen Spitzen direkt neben dem Spielplatz. Ausgesprochen reizend. Es passt perfekt hierher. Diese Stadt ist verdorben. Gestern hat mir jemand im Hotel meinen Rucksack geklaut.«
»Aus deinem Zimmer?«
»Nein. Früh morgens an der Rezeption. Während ich mit einer dieser zauberhaften Damen plauderte. Ich stand direkt daneben und habe es nicht bemerkt.«
»Hast du es gemeldet?«
»Klar, direkt übers Hotel. Die hübsche Lady hat es gesehen. Also, dass ich den Rucksack abstellte und dass er anschließend verschwunden war.«
»War etwas Wertvolles drin?«
»Nein. Nichts von Belang. Wer immer sich das Ding geschnappt hat, wird bitter enttäuscht sein.«
»Dann hast du Glück gehabt.«
Er beugte sich zu ihr und küsste ihre
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