Ich bin ein Mörder
warf die Kartoffelschalen in den Komposteimer und drehte sich um. »Wie kommst du denn auf die Idee, Basti! Euer Vater würde nie …«
Sebastian nahm keine Notiz von ihr. »Hatte der Kerl einen dunkelblauen Pullover an, ’ne blaue Jeans und nagelneue Joggingschuhe?«
Sabrina ließ den heißen Topfdeckel fallen, unter dem das Gemüse dampfte. »Ja!«
»Sag ich doch. Den habe ich am Montag vorm Präsidium getroffen. Der hat mir erzählt, dass er Papa kennt, und ist dann in der U-Bahn verschwunden.«
»Der lässt mich echt überwachen? Mama, stimmt das?«
Irene schnappte nach Luft. »Nie im Leben! Das ist völliger Unsinn. Sabrina! Wo willst du denn hin?«
»Keine Sekunde bleibe ich mehr hier! Das ist ja schlimmer als bei George Orwell. Überwachungsstaat. Scheiß Familie!«
Krachend flog zuerst die Küchentür, Sekunden später die Haustür ins Schloss.
»Hast du ja klasse hingekriegt, Basti! Du und deine blühende Phantasie. Wie kommst du auf solche Geschichten? Willst du Sabrina auf die Palme bringen oder mich?«
Sebastian stellte die leere Flasche zurück in den Kühlschrank.
»Aber das stimmt Mama! Das mit dem Mann ist wirklich passiert.«
Irene schaute ihn zornig an. »Das Schlimmste ist, dass du nicht weißt, wann es Zeit ist, mit der Lügerei aufzuhören!«
* * *
Er fühlte sich sicher. Neben ihm lag die Taschenlampe. Schwer atmend schaltete er sie aus. Er versuchte, das Gefühl der Sicherheit festzuhalten. Der Schweißausbruch kam schnell und heftig. Doch er schaltete die Lampe nicht wieder ein. Hart schlug sein Herz gegen die Rippen. Schwarz und drohend lastete die Erinnerung auf seinen Schultern.
»Du bist das Licht«, flüsterte er heiser. »Du erleuchtest meine Finsternis.«
Der klamme Griff der Angst lockerte sich ein wenig. Er musste es aushalten. Trainieren. Nur so konnte es gelingen. Es machte ihn stärker. Im Dunkeln versuchte er sich zu orientieren. Es war nicht schwer. Er kannte sich aus. Immer wieder war er in diesem Raum gewesen, hatte die Anlagen gewartet, die sich im Untergrund versteckten. Unsichtbar von außen. Unterschätzt, so wie er. Dabei waren sie wichtig. Versorgten die Stadt mit Energie. Es dauerte sicher noch eine Weile, bis sie den Schlüssel vermissten.
Es war so perfekt. Es musste dem Meister gefallen. Hier. Genau hier. Mitten in der Stadt. So nah würde es sein. So nah und doch unerreichbar. Beinahe öffentlich. Keiner konnte es finden. Er musste nur noch eines auswählen. Die Zeit für die Rache des Meisters war da und er – er konnte ihm dabei behilflich sein! Der Meister musste sich freuen. Der Meister musste ihn bemerken! Vielleicht würde Er sogar wieder mit ihm sprechen! Sein Körper gehorchte nicht mehr. Er kauerte sich auf den Boden, presste die Fäuste vor den Mund. Keuchend wartete er, bis die Erregung abklang.
* * *
Gedankenverloren streichelte Alexandra Jörgs nackten, braungebrannten Rücken, bis hinab zu den beiden kleinen Grübchen. Sie lächelte unwillkürlich. Jörg gab sich große Mühe, attraktiv und sportlich zu bleiben. Das verräterische kleine, weiße Fleckchen oberhalb des Steißbeins und die feinen Streifen unterhalb der Gesäßfalte ließen sie beinahe laut auflachen. Sonnenbank und Fitnessstudio. Sie wusste, dass er sich nicht gerne quälte, aber sein Ego verlangte den Einsatz. Ein eitler, unverbesserlicher Frauenheld. Schon immer, und daran würde sich nichts ändern. Das hatte nicht mal Karin geschafft.
Wenn eine Frau in Jörgs Nähe kam, straffte er automatisch die Schultern und zog den Bauch ein. Obwohl das gar nicht nötig war. Seine Augen leuchteten, die Stimmlage änderte sich und der ganze Mensch stand unter Spannung. Balzverhalten. Während Jörg sich aufplusterte wie ein Gockel, um größer und wichtiger zu erscheinen, versuchte Tobias, das Gegenteil zu erreichen. Das hatte sie bei der Vernissage beobachtet.
Tobias’ Schultern kippten leicht nach vorn und der Kopf neigte sich zur Seite. Trotz seiner Größe schaffte er es, Frauen von unten nach oben in die Augen zu sehen. Ein Kokettieren mit aufgesetzter Schüchternheit, das verblüffend gut funktionierte. Durch die Abwärtsbewegung von Kopf und Schultern fiel ihm jedes Mal diese Haarsträhne ins Gesicht, die er mit einem kurzen Ruck zurückbeförderte oder mit einer leichten, vermeintlich unbewussten Handbewegung beiseitestrich.
Es waren wohlüberlegte, einstudierte Gesten, wie ihr langsam klar wurde. Tobias spielte gekonnt den unschuldigen Jungen, weckte in
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