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Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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jeder Frau das Verlangen, ihm jenseits dieser Unschuld zu begegnen. Dass sie ihn durchschaute, änderte nichts an den Gefühlen, die er bei ihr auslöste.
    Männern gegenüber war er dagegen stets dominant. Der Kopf blieb kerzengerade auf den Schultern, keine Haarsträhne wagte es, ihm in die Stirn zu fallen. Er inszenierte sich perfekt, analysierte sein Gegenüber schnell und wählte präzise die Waffe, die am sichersten traf. Seine sprachliche Überlegenheit zwang fast jeden in die Knie. Jörg einzuschüchtern war schwer, aber Mischa hatte ihm wenig entgegenzusetzen.
    Sie küsste Jörgs Schulter und legte zwei Finger in die verführerischen Grübchen. Doch er schlief weiter.
    Wieder dachte sie an Tobias. Er brauchte zwingend die Bewunderung. Wenn sie nicht bereit war, ihm die bedingungslos zu geben, würde er sofort Schluss machen.
    Sie hörte Jörgs ruhige, gleichmäßige Atemzüge und seufzte. Diese nachmittäglichen Treffen mit ihm würden ihr mehr fehlen als ihr lieb war. Jörg war der pure Spaßfaktor. Reine Lust ohne Berechnung, ohne Verpflichtung, ohne Reue. Aber auch ein Spiel ohne Zukunft. Noch einmal schmeckte sie seine warme Haut, mit einem Anflug von Melancholie. Es war nur logisch, dass es irgendwann so weit gekommen war. Ebenso logisch, es zu beenden. Jetzt.

Donnerstag, 01. November
     
    Nihilismus. Mischa rieb sich den Schädel. Ungeduldig kippelte er mit dem Küchenstuhl. Der Kaffee in der Tasse war längst ausgekühlt. Seit er begonnen hatte, Stockmanns Buch zu lesen, war seine Abneigung stetig gewachsen. Er empfand direkt körperlichen Widerwillen, wenn er das Buch zur Hand nahm. Das hatte ihn zuerst davon abgehalten, es auch noch mit Dürrenmatt aufzunehmen. Aber seit dem Mord auf dem Eisernen Steg ließ ihn der Gedanke nicht los, dass auch dessen Bücher eine Bedeutung hatten, die weiter reichte, als auf den ersten Blick zu sehen war. Für den Fall. Für Stockmann. Und damit auch für ihn.
    Die beiden Bücher, die Mischa in der Bücherei ausgeliehen hatte, verbreiteten einen leicht muffigen Geruch. Er mochte weder den Inhalt noch Dürrenmatts Stil. Umständliche triste Geschichten, die in seinem Kopf nur Schwarz-Weiß-Bilder erzeugten. Unsympathische Menschen, einer wie der andere. Egal ob sie nun das Gute oder das Böse symbolisierten. Obwohl – genau genommen fand diese Unterteilung gar nicht statt. Mischa blätterte hin und her. Gut und Böse existierten nur als schemenhafte Begriffe, eine Persiflage ihrer selbst.
    Er knackte mit den Fingern. Konnte das der Schlüssel sein? Weniger der offensichtliche Inhalt, sondern das, was zwischen den Zeilen stand. Musste er auf die unterschwelligen Eigenschaften der Personen achten, auf Brüche und Widersprüche in den Charakteren? Wie ein Profiler.
    Langsam erwachte sein Interesse wieder. Und sein Appetit. Aus dem Kühlschrank angelte er eine Packung Toastbrot, Käse und Salami. Unordentlich schichtete er alles übereinander und biss kräftig hinein.
    Also dann, Herr Dürrenmatt, zeigen Sie mir, was Sie so drauf haben! Er wischte ein paar Krümel unter den Tisch und legte beide Bücher aufgeschlagen vor sich. Links: »Der Richter und sein Henker«, rechts: »Der Verdacht«. In der Mitte platzierte er ein Blatt Papier. »Nihilismus« schrieb er darauf, und die Namen der Hauptfiguren. Dann klemmte er den Stift hinters Ohr, das Brot zwischen die Zähne und begann, gezielt nach Hinweisen zu suchen.
    * * *
     
    Bei ihrem morgendlichen Besuch am Kiosk stolperte Alexandra förmlich über ihr eigenes Liebesleben. Sie kochte vor Wut. Wieder hatten es zwei Zeitungen für nötig gehalten, ihr Foto abzudrucken. Für eine davon schrieb Jörg. Mistkerl. Eine gedruckte Ohrfeige für ihre Entscheidung gegen ihn. Er musste direkt von ihrem Bett aus in die Redaktion gefahren sein, um noch in der Nacht einen Bericht über Tobias zu schreiben. Obwohl sie versucht hatte, ihm zu erklären, dass Tobias nicht der Grund dafür war, dass sie ihre Liaison aufgab. Aber das war wohl zu viel verlangt von einem gekränkten Macho.
    Sie kaufte beide Blätter und hoffte, dass die Frau auf der anderen Seite der Theke sie nicht erkannte. Dann hastete sie durch Sprühnebel und Pfützen zurück nach Hause. Noch auf der Treppe begann sie zu lesen. Sie brauchte drei Versuche, ehe der Schlüssel das Schloss traf. Die Tüte mit den Brötchen und die Jacke landeten direkt hinter der Tür auf dem Boden, die nassen Schuhe behielt sie an. Ungeduldig warf sie den feuchten Zopf über die Schulter

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