Ich bin ein Mörder
Kinder kennen.« Erschöpft lehnte er sich an die Wand. »Vielleicht«, er fühlte sich wie ein Verräter, »hat Basti eine Idee?«
»Nein, habe ich schon versucht.«
Mischa konnte ihr nicht von den Gotchaspielen erzählen, ohne Basti in Schwierigkeiten zu bringen. Es lag nahe, dass Markus in dieser Gemeinschaft Freunde hatte, von denen Irene nichts ahnte. Freunde, die genauso wenig mit ihren Eltern klarkamen wie er und bei denen er problemlos eine Nacht unterschlüpfen konnte. Viel länger reichte die Kondition bei Ausreißern meistens nicht.
»Es ist nur eine Nacht, Irene. Er ist sicher bald wieder da.« Seine Speiseröhre brannte immer noch wie Feuer. Er wurde den Geschmack von Magensäure nicht los.
Irene nickte schwach. »Das hat Conrad auch gesagt. Aber Markus ist stur und sie haben sich noch nie so gestritten wie gestern. Was ist, wenn er nicht wiederkommt?«
Sonntag, 04. November
Die Schwierigkeiten im Dienst hielten sich an diesem lauen Sonntag in Grenzen. Mischa versuchte, fit zu erscheinen, und Alexandra ließ ihn in dem Glauben, dass es ihm gelang. Zum Glück wurde kein körperliches Eingreifen erforderlich. Ein angetrunkener Randalierer im Schnellrestaurant, ein orientierungsloser Obdachloser, der ein bisschen Zuspruch brauchte, ein brennender Mülleimer an einer U-Bahnstation, damit wurde sie problemlos fertig. Sie übernahm die Regie im Einsatz, traf Entscheidungen, schnell und energisch. Dabei spürte sie Mischas unausgesprochene Erleichterung. Auch über den Freitagabend verloren sie kein Wort.
Jetzt sortierte Alexandra im Revier Formulare in die Ablagefächer. Erledigtes, Unerledigtes zur Weiterbearbeitung durch andere Dienststellen, Vorgänge zur Wiedervorlage, Schriftstücke zur Unterschrift durch Vorgesetzte. Mischa lehnte in der Tür, stützte sich mit dem Arm am Rahmen ab, während er mit Fred sprach, der draußen auf dem Flur stand. Sie lächelte unwillkürlich, als sie Mischa lebhafter reden hörte. An seinem Handgelenk kräuselten sich kurze, blonde Haare. Es war gut, ihn auf dem Posten zu sehen. Blonde Haare. Sie biss sich auf die Lippen und versuchte, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Ein heißes Rieseln packte sie vom Nacken abwärts, schlängelte sich quer durch ihren Bauch. Blonde Haare. Überall. Der Gedanke irritierte sie. Nervös begann sie zu pfeifen, wie ein Kind im dunklen Keller. Aber pfeifen hatte noch nie geholfen. Schon gar nicht diese Melodie. Alexandra übertrug ihr Unbehagen auf das Lied. Eine einzige Textzeile hätte ihr genügt, um Ruhe zu haben. Es lag ihr auf der Zunge. Sie war sicher, es loswerden zu können, sobald sie sich erinnerte. Am einfachsten wäre es gewesen, Mischa nach dem Titel zu fragen. Er drehte sich um, als er sie pfeifen hörte, und sie schaute hastig beiseite. Irgendwann musste sie ihn fragen, aber auf keinen Fall jetzt.
* * *
Er wimmerte leise am Telefon, beschämt und zugleich ergriffen, endlich die Stimme des Meisters zu hören.
»Ich habe das für dich getan. Es ist ein Geschenk. So wie der Mann auf dem Frachter. Aber das habe ich nicht richtig gemacht. Verzeih mir! Ich habe Fehler gemacht und war dumm. Anmaßend. Ich schenke dir den Jungen. Bitte, nimm mein Geschenk an.«
»Du bist jetzt bei ihm?«
»Ja.« Er hörte Ihn atmen, während Er überlegte.
»Ich verzeihe dir. Doch du wirst nie wieder eigenmächtig handeln. Ist das klar? Nie wieder!«
Die Schärfe der Worte zwang ihn in die Knie.
»Nie wieder, ich schwöre!«
»Lass ihn mithören.« Ein weiches versöhnliches Flüstern. »Ich will nicht mit ihm reden, ich will nur, dass er mich hört!«
Er schaltete den Lautsprecher zu und hockte sich vor den Jungen, brachte beide Stimmen ganz nah an dessen Ohr.
»Ich werde alles tun, was du verlangst, Meister! Du bist das Alpha und das Omega.«
Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte.
»Der Herr über Leben und Tod! Ich nehme dein Geschenk an. Ab jetzt gehört der Junge mir. Und ich werde auch dir ein Geschenk machen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Bist du bereit?«
»Ja, Herr. Ja!«
»Du weißt, welcher Art mein Geschenk sein wird?«
»Ich empfange die Erlösung durch deine Hand.«
Das Lachen hallte durchdringend und hemmungslos.
»So sei es! So sei es!«
Der Junge neben ihm konnte nicht schreien. Klebeband verschloss seinen Mund. Stummes Weinen krümmte den Körper in krampfhaften Wellen.
»Was soll ich mit ihm machen?«
»Nichts. Noch nicht. Lass ihn einfach nur allein. Geh jetzt.«
Er folgte der
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