Ich bin ein Mörder
euphorischer Glanz. »Stockmann bezieht sich unüberlegt auf Dürrenmatt, in dem Glauben, niemand macht sich die Mühe nachzulesen. Aber da hat er sich geschnitten!«
»Schadenfreude steht dir gut, mein Freund. Ich werde das Gefühl nicht los, dass da was sehr Persönliches dahintersteckt. Ein privater Rachefeldzug?«
Mischa hob die Achseln. »Nenn es, wie du willst.«
Oh ja, es war etwas sehr Persönliches. Ausgerechnet er, den Stockmann für einen ungebildeten Bullen und Bücherhasser hielt, wollte ihn mit Hilfe eines Buches entlarven.
Mischa schubste den Kaffeebecher über den Tisch und massierte sich mit beiden Händen die Schläfen.
»Es geht mir nicht darum, ihn reinzulegen oder bloßzustellen. Ich will nur wissen, wie viel Wahrheit in seinem Buch steckt.«
»Wahrheit?«
»Ich weiß inzwischen, dass der erste Mord, den er begangen haben will, kein Mord war. Aber was ist mit den anderen? Alexandra ist unsere Freundin, Ozzy. Sie ist verknallt in ihn. Vielleicht liebt er sie auch. Aber was nützt ihr alle Liebe dieser Welt, wenn er das ist, was er vorgibt zu sein?«
»Ein Mörder.«
»Wenn er nur ein verfluchter Angeber ist, ein Großmaul – von mir aus, dann soll er sie verdammt noch mal haben. Aber solange ich daran zweifle …«
Ozzy nickte und schlug ihm auf die Schulter.
»So lange suchst du die Wahrheit. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Alles klar, ich bin dabei.«
Ozzy steckte die letzten Pizzakrümel in den Mund, schob die Dogge beiseite und schlurfte zur Stereoanlage. Augenblicke später grölte er laut mit seinem Namensgeber um die Wette.
»I’m just a dreamer, I dream my life away …«
Montag, 05. November
Markus hörte Geräusche. Draußen. Ein auf- und abschwellendes Rauschen. Der Hunger hatte längst aufgehört, nur der Durst quälte ihn von Stunde zu Stunde heftiger. Die Luft war trocken und reizte seine Atemwege. Irgendetwas brummte ganz in seiner Nähe. Er fürchtete sich davor, dass der Mann zurückkam. Und er fürchtete sich bei dem Gedanken, dass er nicht zurückkommen würde. Seine Hände und Füße spürte er kaum noch. Kalt und taub. Gefühllos von den Fesseln. Ob es Tag war? Oder Nacht? Er glaubte, Autos hupen zu hören. Manchmal vernahm er auch Stimmen. Gedämpft. Hinter dicken Mauern. Er musste pinkeln. Der Druck stieg, wandelte sich in Schmerz. Der Schmerz verdrängte für eine Weile die Angst. Er forderte alle Konzentration. Bis sein Körper entschied, genug gelitten zu haben. Für einen Augenblick fühlte er Erleichterung und klebrige Wärme. Dann mischten sich Tränen und Scham mit hilfloser Resignation. Sie hatte nur darauf gewartet. Gelauert. Fast glaubte er, sie aus den Ecken kriechen zu sehen, trotz der Dunkelheit. Das Klebeband erstickte sein Schluchzen. Die Angst kehrte zurück.
* * *
»Ich musste ihn loswerden. Er war mir lästig. Er glaubte in seiner Einfalt, mir ebenbürtig zu sein. Mehr noch, mir einen Gefallen erweisen zu können. Sein dauerndes sinnloses Gerede, ohne Pause, ohne Atem zu schöpfen. Verhängnisvoll. Seine Eitelkeit. Sein unerschütterlicher Glaube an sich selbst, trotz offensichtlicher Unfähigkeit. Sein Mangel an Demut. Unbelehrbar, was die Wahrheit betraf. Unerträglich. Erst als die Erde ihn völlig bedeckte, die schwere, kalte Erde seines eigenen Gartens, gönnte ich mir den wohlverdienten Genuss. Ruhe. Ich setzte mich neben sein frisches Grab und ein wohliger Schauer überlief meinen Rücken bei dem Gedanken an seine brechenden Fingernägel, wenn er versuchen würde zu graben, ehe ihm die Luft ausging. Ich blickte auf die Uhr. Jetzt. Genau jetzt musste die Wirkung des Betäubungsmittels nachlassen. Ich legte mich flach auf den Boden, presste mein Ohr auf die Stelle, wo er verzweifelt nach Luft rang.
Atmest du noch? Redest du immer noch? Wirst du nun demütig erkennen, dass ich es bin, der entscheidet, dass ich es bin, dessen Stimme die Welt hört! Und nur mehr meine, von diesem Augenblick an. Nie wieder deine Stimme.
Gab es noch etwas zu hören? Ein leises Röcheln, vielleicht? Nein. Nein, leider. Zu viel Erde. Doch notwendig. Sollte es ihm doch auf keinen Fall gelingen, sich zu befreien. Sollte ihn doch niemand jemals wieder finden. In der Tiefe sollte er bleiben. In der Dunkelheit. Vergessen von der Welt, die ihm den Ruhm zu Lebzeiten versagte und die ihn auch im Tode einfach ignorieren sollte. Er verschwand vom Antlitz der Erde. Getilgt. Ausgelöscht. Ein Niemand. Der keine Spuren hinterließ, außer ein paar
Weitere Kostenlose Bücher