Ich bin ein Mörder
Sie kannte das schon. Das machte es aber nicht besser. Im Gegenteil. Dass ausgerechnet Conrad Neumaier sich so dämlich und hinderlich anstellte, wollte ihr einfach nicht in den Schädel. Sie hoffte auf Sven und Hassan, die bisher noch jeden Computer geknackt hatten. Der hier gehörte schließlich nicht Bill Gates. Konnte also keine unlösbare Aufgabe sein. Außerdem war es fraglich, ob Markus wusste, wie man seine Fußspuren im Netz wieder verschwinden lassen konnte. Oder ob er sich überhaupt darüber Gedanken gemacht hatte.
Donnerstag, 08. November
Früher als sonst erschien Alexandra auf der Dienststelle. Zu Hause konnte sie nicht aufhören, an Tobias zu denken, an seine Lehrerin, seine Vergangenheit, die er so sorgsam versteckte, und an ihre völlige irrationale Sehnsucht nach ihm. Aber auch hier war es nicht leicht, sich abzulenken. Die Kollegen der Nachtschicht tippten übermüdet ihre Berichte zu Ende oder befanden sind noch irgendwo draußen in der Stadt. Keiner da, mit dem sie hätte reden können. Also warf sie Jacke, Mütze und Rucksack in eine Ecke und marschierte in die Küche. Sie wusste genau, dass Ralf Steinbrück sie deswegen tadeln würde, aber das war ihr egal. Die Sachen waren dazu gemacht, etwas auszuhalten. Strapazierfähig und belastbar, genau wie sie selbst, gemacht für diesen Job. Sie holte Milch aus dem Kühlschrank und knallte die Tür heftiger zu als beabsichtigt. Ja, sie war gemacht für diesen Job. Diesen einen, etwas anderes hatte sie nie gewollt. War es verrückt, diese Arbeit zu lieben? War es verrückt daran zu glauben, dass man da Anteil an einer guten Sache hatte? Sie kippte den letzten Rest Kaffee aus der Kanne in ihre Tasse, warf dann den alten Filter in den Müll und befüllte die Kaffeemaschine neu. War sie wirklich verrückt, weil es ihr Spaß machte, jeden Tag wieder rauszugehen, sich neuen Anforderungen zu stellen und nie zu wissen, was kommen würde – Gefahr oder Langeweile? Wenn es so war, dann war sie gerne verrückt. Das war ihr Leben. Trotz der Momente voll Frustration und Wut. Meistens überwog dieses verrückte Gefühl, doch etwas bewegen zu können. Als Bulle. Als kleiner Bulle, der gar nicht hoch hinaus wollte. Besser sein als andere, überlegen. Wieso konnte er das nicht verstehen? Wieso, zum Teufel, wollte er sie anders haben als sie war?
»Ich muss mit dir reden.«
Alexandra zuckte zusammen, als Mischa sie plötzlich von hinten ansprach. Sein Gesicht wirkte ernst und er schloss die Tür.
»Wo ist Stockmann?«
»Was willst du von ihm?« Automatisch ging sie in Verteidigungsposition. Hörte sie einen vorwurfsvollen Unterton in seiner Stimme?
»Fragen stellen. Wegen Markus.«
Mischa hob den Deckel der Kaffeemaschine an, aber Alexandra fuhr dazwischen, knallte ihn wieder zu und stellte sich in den Weg.
»Ich bin nicht zu blöd zum Kaffeekochen. Aber von dem, was du sagst, versteh ich kein Wort. Was ist los?«
Auf den wenigen Quadratmetern war es schwierig, auf und ab zu laufen, aber Mischa blieb dennoch in Bewegung.
»Markus Neumaier ist weg. Spurlos verschwunden seit Freitag. Das ist los. Und das ist sein Werk. Unter Garantie.«
»Davon wusste ich gar nichts!« Siedendheiß fiel ihr ein, dass sie seit Tagen nicht mit ihren Eltern telefoniert hatte, auch nicht mit Conrad oder Irene. Nicht einmal mit Silke. »Aber was hat Tobias damit zu tun?«
»Stockmann hat eine Rechnung offen, mit Conrad Neumaier. Irgendetwas ist zwischen den beiden vorgefallen. Sie hassen einander mehr als die Pest, das dürfte auch dir nicht entgangen sein.«
Alexandras Hand krampfte sich um den Kaffeebecher, für diesen anzüglichen Hinweis hätte sie ihn würgen können. Seinem Gedanken konnte sie aber immer noch nicht folgen.
»Und darum glaubst du, Tobias hat Markus umgebracht?«
»Was? Nein! Neumaier und Markus haben sich gestritten, dann ist Markus durchgebrannt. Ist nur so ein Gefühl, dass Stockmann …«
»Ein Gefühl? Du erhebst wilde Anschuldigungen, weil du so ein Gefühl hast? Bist du noch ganz bei Trost? Und jetzt bleib endlich stehen, verdammt noch mal, du machst mich ganz nervös!«
Mischa lehnte sich gegen die Tür und steckte die Hände in die Hosentaschen. Es war nicht schwer zu erkennen, dass er sich zur Ruhe zwingen musste.
»Hör zu, Alexandra. Ich will gar nicht sagen, dass Stockmann was verbrochen hat. Es kann sein, dass Markus freiwillig bei ihm ist. Gemeinsame Sache, um Conrad Neumaier zu … ich weiß nicht … quälen, verunsichern,
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