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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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gegangen, hatte sich »unzüchtig« gekleidet und geplant, von zu Hause wegzugehen. Als ich mich näher damit befasste, erfuhr ich, dass dies der zweite Fall innerhalb von vier Jahren im selben County war, bei dem ein Muslim ein Familienmitglied umgebracht oder es versucht hatte, um die eigene Ehre wiederherzustellen. Im April 2004 hatte Ismail Peltek, ein Einwanderer aus der Türkei, im eigenen Haus in Scottsville, acht Kilometer von Henrietta entfernt, seine Frau geprügelt und erstochen und seine beiden Töchter verwundet. Den Ermittlern sagte er, er habe versucht, die Familienehre wiederherzustellen, nachdem seine Frau und eine Tochter von einem Verwandten sexuell missbraucht worden seien. Die andere Tochter sei durch eine medizinische Untersuchung »befleckt« worden.
    Im Juli 2008 gestand ein Pakistani, laut Polizeibericht mit Namen Chaudhry Rashad, Inhaber einer Pizzeria in Jonesboro, einem Vorort von Atlanta, seine fünfundzwanzigjährige Tochter Sandela mit einer Bügeleisenschnur erdrosselt zu haben, weil sie den Mann verlassen wollte, den er für sie in Pakistan ausgesucht hatte. Nach Angaben der Polizei hatte sich Sandela geweigert, weiterhin zusammen mit ihrem Mann in Chicago zu leben, und war in ihr Elternhaus zurückgekehrt. Dort teilte sie ihrem Vater mit, dass sie sich scheiden lassen wolle. In einem Bericht hieß es: »Als die Polizei eintraf, erklärte er, dass er nichts Unrechtes getan habe.« Ein Foto des Opfers im Internet zeigte eine bleiche, verschüchterte junge Frau, aus deren Augen die Angst sprach.
    Im Februar 2009 köpfte ein siebenundvierzigjähriger muslimischer Geschäftsmann in Buffalo im Staat New York seine Frau, die sich von ihm scheiden lassen wollte. Der Mann hatte den Kabelsender Bridges TV gegründet, um »ein positiveres Bild von den Muslimen zu verbreiten«. Muzzammil Hassan war schon zuvor sehr gewalttätig gewesen, und Aasiya, die Mutter seiner beiden kleinen Kinder, hatte nicht lange zuvor durchgesetzt, dass er die gemeinsame Wohnung nicht mehr betreten durfte.
    In jedem einzelnen Fall verbogen sich die amerikanische Polizei, Regierungsvertreter und Reporter geradezu bei dem Versuch, das hässliche Wort »Ehrenmord« zu vermeiden – als könnte eine andere Bezeichnung die abscheulichen Morde zu gewöhnlichen Verbrechen machen. Ich fragte mich: Gab es in den Vereinigten Staaten denn keine Organisationen, die sich dieses Themas annehmen wollten? Nicht, dass ich damals die Absicht gehabt hätte, selbst eine solche zu gründen, ich hatte erst einmal genug von Politik. Aber jemand musste doch etwas unternehmen, Maßnahmen in die Wege leiten, die Sache ans Licht holen – irgendeine Gruppe musste sich darum kümmern.
    Ehrenmord ist kein zufälliger Ausdruck eines persönlichen Wahns. Die Morde an Amina und Sarah Said in Irving waren Strafen für die Verstöße dieser beiden Mädchen gegen eine kulturelle Ordnung. Und auch wenn diese Ordnung alt und grausam ist und aus fernen Landen stammt, kann sie sich in Dallas oder Henrietta oder Atlanta genauso tödlich auswirken wie überall.

    Jedes Mal, wenn ich von Ehrenmorden lese, lässt mir die Gewissheit keine Ruhe, dass man etwas, sogar vieles, dagegen hätte tun können. Es gab eine Fülle von Signalen, bei denen im Rückblick etwa in Irving die Alarmglocken hätten schrillen müssen, lange bevor Yaser Said zur Waffe griff. All diese Fälle weisen ein eindeutiges und wohlbekanntes Muster aus Überzeugungen und Verhaltensformen auf. Besteht also ein dringender Bedarf, dieses Muster nach Möglichkeit zu erkennen und weitere Morde zu verhindern? Keine Frage. Wird derzeit darüber diskutiert, wie man am besten vorgeht? Nein.
    Warum eigentlich nicht?
    Wenn muslimischen Frauen nicht nur Unterdrückung, sondern auch ein gewaltsamer Tod droht, warum protestieren die Frauenrechtler nicht gegen die Täter? Wo sind die berühmten europäischen und amerikanischen Aktivisten und Aktivistinnen, die einmal die Emanzipationsbewegung im Westen angetrieben haben? Wo ist, um nur ein Beispiel zu nennen, Germaine Greer, die australische Autorin von Klassikern des westlichen Feminismus wie Der weibliche Eunuch?
    Greer zufolge ist die Genitalverstümmelung an Mädchen etwas, das im kulturellen Kontext betrachtet werden muss. Ein Versuch, sie zu stoppen, sei, so Greer, »ein Angriff auf kulturelle Identität«. Sie fährt fort:
    Afrikanische Frauen, die Genitalverstümmelungen vornehmen, tun dies vor allem deshalb, weil sie glauben, dass es die

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