Ich bin eine Nomadin
Attraktivität der Frau erhöht. Die junge Frau, die unerschrocken liegen bleibt, während der Beschneider ihre Klitoris zwischen zwei Steinen zermalmt, beweist damit, dass sie einmal eine gute Frau sein wird, die allen Qualen der Geburt und der täglichen Arbeit gewachsen ist … Westliche Frauen, in voller Montur mit Nagellack (der sich mit Handarbeit nicht verträgt), hochhackigen Schuhen (katastrophal für die Haltung und somit den Rücken und völlig ungeeignet, längere Entfernungen über schlechte Straßen zurückzulegen) und Büstenhalter … kritisieren die Beschneidung von Frauen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass ihr Verhalten absurd ist.
Und was hat Germaine Greer, so fragt man sich, zu Ehrenmorden zu sagen? Im Dezember 2007 hielt sie im australischen Melbourne einen Vortrag über Jane Austen. Eine australische Schriftstellerin namens Pamela Bone fragte Greer damals, ob sie Parallelen zwischen dem Konzept der Familienehre in Austens Roman Stolz und Vorurteil und dem Konzept der Familienehre in heutigen Gesellschaften im Nahen und Mittleren Osten sehe. Dann fragte sie noch, warum westliche Feministinnen offenbar so große Skrupel hätten, Dinge wie Ehrenmorde zu verurteilen.
Laut Bone antwortete Greer: »Das ist sehr heikel. Ich werde ständig aufgefordert, nach Darfur zu reisen und Vergewaltigungsopfer zu interviewen. Ich kann auch hier mit Vergewaltigungsopfern reden. Warum sollte ich nach Darfur gehen, um mit Vergewaltigungsopfern zu reden?«
Auf Bones Antwort: »Weil es dort noch viel schlimmer ist«, gab Greer zurück: »Wer sagt das?«
Daraufhin erklärte Bone, dass sie selbst in Darfur gewesen sei, und versicherte Greer, die Situation dort sei in der Tat schlimmer. Greer antwortete: »Nun, es ist einfach sehr heikel, einen anderen Kulturkreis ändern zu wollen. Wir lassen die hiesigen Opfer von Vergewaltigungen im Stich. Auch in unseren eigenen Gerichten liegt noch manches im Argen. Was würde es nützen, wenn ich dorthin gehe und versuche, ihnen vorzuschreiben, was sie tun sollen? Ich bin nur Teil einer dekadenten westlichen Kultur, und sie denken, wir werden ohnehin schon bald alle zur Hölle fahren, und womöglich fahren wir wirklich bald zur Hölle. Aber es ist uns keineswegs gleichgültig. Wir wehren uns dagegen. Wir tragen in dieser Woche alle weiße Bänder [ein Hinweis auf eine internationale Kampagne zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen], nicht wahr? Das wird einiges bewirken.«
In ihrem Artikel über den Vorfall in der Tageszeitung The Australian bemerkte Bone treffend: »Hinter Greers begeistert aufgenommenen Kommentaren verbirgt sich der trübselige kulturelle Relativismus, der das Denken so vieler Menschen durchdringt, die einst als ›die Linke‹ bezeichnet wurden: Wir sind nicht besser als sie. Wir dürfen ihnen unsere Wertvorstellungen nicht aufzwingen. Wir können lediglich unsere eigenen kritisieren … Es ist schon merkwürdig, dass ausgerechnet so viele alte Feministinnen meinen, Rassismus sei schlimmer als Sexismus.«
Ich las den Artikel, den mir eine Freundin geschickt hatte, mehrfach durch und dachte: Heikel? »Es ist sehr heikel, eine andere Kultur verändern zu wollen?« Was ist mit dieser Frau und ihren zentralen Wertvorstellungen passiert? Es ist wahrhaft absurd, wenn jemand wie Germaine Greer, die Philosophie studiert hat, nicht erkennt, dass die Entscheidungsfreiheit den grundlegenden Unterschied zwischen dem Verhalten eines erwachsenen »Opfers« des Schmerzes, den modische Schuhe zufügen mögen, und dem Schmerz eines Kindes ausmacht, das wirklich ein Opfer von Gewalt ist. Es ist geradezu gewissenlos, wenn sie sich scheut, Ehrenmorde zu verurteilen, weil es »heikel« wäre, eine Kultur infrage zu stellen, die so etwas billigt.
Der Feminismus entstand im Westen. Er ist ein Kind der Aufklärung, jener Epoche, die die Ideen der Freiheit des Einzelnen hervorbrachte. Aber schon vor der Aufklärung, selbst im finstersten Mittelalter, wurden Frauen in der westlichen Zivilisation besser behandelt als in der islamischen Stammesgesellschaft der Araber. Freilich kam es in Europa und in Amerika vor, dass Frauen als »Hexen« gebrandmarkt, gefoltert, ertränkt oder verbrannt wurden. Gewalt im eigenen Haus, Stigmatisierung und der Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Leben und der Politik waren ebenfalls weitverbreitet. Wenn ich über das Leben der Frauen in der Vergangenheit lese, dann verschlägt es mir vor Wut und Mitleid oft die Sprache. Die Ansicht,
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