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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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an ihre Rachsucht, ihre Schimpftiraden, ihre Missgunst, die sie, als wir Kinder waren, gewöhnlich an mir ausgelassen hatte, vollkommen verdrängt. Ganz offenbar hatte sie ein neues Opfer gefunden: Mahads Ehefrau Suban.
    Mahad hatte vorgeschlagen, dass ich mich davonschleichen sollte, um Suban und das Baby zu besuchen, damit ich unsere Mutter nicht verärgerte, während sie um ihre Tochter trauerte. Ich fand es paradox und sehr seltsam, dass er das Gefühl hatte, die Geburt seines Sohnes nicht feiern zu können.
    Als ich Suban dann auf einer Matte gegenübersaß und zuhörte, wie sie ihr Schicksal so laut beklagte, dass ihr Neugeborenes auf ihrem Schoß unzufrieden das Gesicht verzog, staunte ich über die Ähnlichkeiten zwischen Ma und meiner Schwägerin: beide groß und dünn, beide brennend vor Unzufriedenheit. Es muss schwer sein, mit dem ersten Kind zurechtzukommen, besonders unter solchen Umständen. Ihre Verzweiflung, weil mein Bruder sie im Stich ließ, weckte in ihr die gleiche Wut und Verwirrung, die auch meine Mutter gefühlt hatte, als mein Vater seine Pflichten ihr und seinen Kindern gegenüber vernachlässigte. Und auch ihre Reaktion war die gleiche: Sie schob die Verantwortung für ihr eigenes Schicksal allen möglichen äußeren Faktoren zu.
    »Ayaan, in meinen Augen habt ihr mich im Stich gelassen, du und deine Familie«, fing sie an. »Du bist jetzt hier in Nairobi, aber nicht meinetwegen, nicht wegen deines einzigen männlichen Erben – du bist hier, weil deine Schwester gestorben ist. Und was hast du mir mitgebracht? Was hast du deinem Neffen mitgebracht? Du kommst aus einem reichen Land und trotzdem mit leeren Händen.«
    »Weißt du, wie deine Mutter mich behandelt?«, fuhr sie fort. »Weißt du von ihrem Feldzug, um mich von deinem Bruder zu trennen? Sie denkt, sie verletzt mich, aber sie verletzt deinen Neffen, deine Blutlinie. Allah der Allmächtige ist mein Zeuge, ich werde diesem Jungen, meinem Sohn, immer wieder von den Machenschaften deiner Mutter erzählen.«
    Sie wurde immer lauter, während sie ihre Möglichkeiten, sich an der Familie Magan zu rächen, aufzählte.
    »Auf meinem Schoß habe ich den einzigen männlichen Erben, der den Namen Hirsi Magan weiterträgt!«, schrie sie.
    Der Junge strampelte und warf den Kopf von einer Seite zur anderen. Wütend starrte sie mich an und versuchte gleichzeitig, ihm ihre Brustwarze in den Mund zu schieben. Er weinte nur noch lauter.
    Ein feynoos, eine Paraffinlaterne, wie die meisten Somalis sie verwenden, erhellte das Zimmer notdürftig. Es gab einen Lichtschalter, und eine Glühbirne baumelte von der Decke, aber der Strom war offenbar abgestellt. Im flackernden Licht konnte ich sehen, dass an manchen Stellen die Farbe von der Wand blätterte. Der Boden zwischen Subans und meiner Matte war aus rot gestrichenem Zement; auch diese Farbe blätterte an manchen Stellen ab. In einer Ecke des Zimmers stand ein Holzkohlebecken aus Eisen mit einer Teekanne darauf, und um die Essens- und Windelgerüche zu überdecken, hatte Suban einen dabqaad, einen »Feuerträger«, aufgestellt, ein kuppelartiges Tongefäß mit Luftlöchern, in dem Weihrauch glühte.
    Das Zimmer war klein, fast eine Kammer, mit einem einzigen winzigen Fenster, die Decke war schwarz vom Küchenrauch. Es war gar nicht nötig, so zu schreien: In diesem kleinen Raum konnte ich sie sehr gut verstehen.
    Suban bemerkte, dass ich mich umschaute. »Ich bin in einer Villa in Mogadischu aufgewachsen«, sagte sie und klang auf einmal unglaublich kläglich. »Wenn einer von euch Magans uns je besucht hätte – mein Vater hätte euch geehrt, euch behandelt wie Könige. Jetzt schau dir dieses elende Zimmer an, in dem dein Bruder und deine Mutter mich untergebracht haben. Ich würde nicht einmal Tiere hier einsperren. Ich habe deinem Bruder meine Ehre, meinen Schoß geschenkt, ich habe ihm einen Sohn geboren. Und du – meine Cousine, meine Schwägerin –, du bist reich. Ich weiß Bescheid. Du fährst in einem schicken Auto herum, du verdienst Geld mit dem Elend der Flüchtlinge in Holland, weil du für die Ungläubigen übersetzt. Und doch hast du dir nicht die Mühe gemacht, dem kleinen Jungen etwas mitzubringen. Du bist reich, und du gibst nicht einen Penny ab.«
    Ich saß ihr gegenüber und dachte an die Berichte, die ich für die Eltern somalischer Kinder übersetzte, die in Holland lebten. Die Berichte stammten von niederländischen Psychologen und Kinderärzten, die im Auftrag der

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