Ich bin eine Nomadin
waren, ohne Vater aufwuchsen und sich von ihrer Mutter nichts mehr sagen ließen, zu Männern ohne Job, ohne Frau, ohne Kinder heranwuchsen. Manchmal hatten sie Glück, und ihre Eltern arrangierten eine Ehe für sie, um sie von der Straße zu holen. Doch diese Ehen scheiterten immer. In Eastleigh, einem Viertel in Nairobi, gab es ganze Horden solcher verlorenen jungen somalischen Männer. Sie verbrachten den Tag meist schlafend in kleinen gemieteten Zimmern; abends kauten sie qat und hielten dann mit geliehenem Geld nach Prostituierten Ausschau. Manche wurden kriminell und machten die Straßen unsicher.
Einige diese jungen Männer wurden später religiös und schlossen sich der Muslimbruderschaft an. Sie gingen mit muslimischen Stipendien nach Saudi-Arabien und predigten nach ihrer Rückkehr das, was wir heute als radikalen Islam bezeichnen. Ihre persönliche Geschichte überzeugte, denn sie waren durch Allah, der ihnen den rechten Weg wies, aus der bösen Verwestlichung errettet worden. Meine Mutter setzte alles daran, Mahad mit diesen Vermittlern in Kontakt zu bringen. Aber auch das schien nicht zu funktionieren.
Als Mahad immer tiefer im Sumpf versank, verlegte sich Ma darauf, noch einmal die Solidarität des Clans zu mobilisieren und ihn nach Somalia zu schicken. Als Siebzehnjähriger brach er auf und lernte unsere Onkel und Tanten väterlicherseits kennen; er reiste sogar nach Ayl an der Nordküste, das gerade vom Oppositionsheer meines Vaters eingenommen worden war. Dort war er nicht mehr einfach nur Mahad: Er war Hirsi Magans Sohn – zwar kein Prinz, aber doch ein Mann mit einem langen und ehrbaren Stammbaum und einer stolzen, erhabenen Bestimmung. Er war zum Herrschen geboren. Er konnte den Clan und sich selbst nicht einfach verraten und ein Herumtreiber bleiben.
Aus Somalia schickte Mahad meiner Mutter regelmäßig Briefe in einem wunderbaren Englisch. Ich las sie Ma vor und übersetzte gleich beim Lesen. Es tat mir so leid, dass er die Schule abgebrochen hatte. Mahad war so begabt, er hätte Schriftsteller werden können. Leider hatte ihn niemand darauf vorbereitet, sich realistische Ziele zu setzen und auf diese Ziele hinzuarbeiten. Von Kindheit an war sein Herz voller vager Vorstellungen von Ehre, vom Ringen mit Löwen und von der Eroberung fremder Völker – Zielen, die mit seiner Wirklichkeit nichts zu tun hatten und nur seine Selbstwahrnehmung durcheinanderbrachten.
Dann brach auch Haweya die Schule ab, und 1990 wurden auch sie und ich nach Somalia geschickt. Als ich Mahad wiedersah, war er ein hochgewachsener, hübscher junger Mann mit einem ganz neuen, selbstbewussten Auftreten. Er hatte sich als Student bei einer somalisch-amerikanischen Business School eingeschrieben, deren Gebühren, glaube ich, die Vereinten Nationen zahlten, weil wir Flüchtlinge waren. Er erzählte, er plane, mit ein paar Verwandten eine Firma aufzumachen. Doch obwohl er mit vielen verschiedenen Menschen sprach, habe ich nie gesehen, dass er irgendwelche Geschäfte machte. Auf jeden Fall bekamen wir nie mit, dass er jemals Geld verdiente.
Haweya und ich hatten beide eine Ausbildung als Sekretärin und fanden innerhalb eines Monats nach unserer Ankunft in Mogadischu Arbeit bei den Vereinten Nationen. Wir mussten tippen, stenografieren und Telefondienst machen. Unsere Jobs waren relativ gut bezahlt. Mahad bemühte sich nie um eine Arbeit bei einer lokalen oder internationalen Organisation. Er konnte nicht tippen, nicht stenografieren, wusste nicht, wie man Akten ablegt, und weigerte sich auch, etwas zu lernen. Er fand, unsere Arbeit sei unter seiner Würde. Unter seiner Würde war außerdem jede Art von körperlicher Anstrengung. Er wollte Geschäftsmann werden, aber als einfacher Lehrling wollte er sich nicht herumkommandieren lassen. Viele unserer Verwandten waren im Speditionsgeschäft tätig, doch niemand hatte als Manager angefangen – die meisten arbeiteten zunächst als Fernfahrer oder Mechaniker.
Für Mahad war das alles nichts. Bei seiner Intelligenz hätte er schnell lernen können, aber er war disziplinlos und emotional nicht auf die Situation vorbereitet. Sein Selbstwertgefühl war einerseits furchtbar zerbrechlich und andererseits völlig übersteigert. Ich glaube, er lebte in der Überzeugung, er dürfe keine dienende Stellung als Lehrling annehmen. Ein Prinz tut so etwas nicht.
Wir machen unsere Söhne. Das ist die Tragödie des muslimischen Mannes, der in eine Stammeskultur hineingeboren wird, und vor
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