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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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wenn man einmal Fleisch essen will, man geht einkaufen. Um in die Wohnung meiner Mutter in Nairobi zu kommen, musste man vier Stockwerke Treppen steigen, einen Aufzug gab es nicht. Aber dafür auch keine Gefahr durch wilde Tiere wie Schlangen, Skorpione und dergleichen. Und sie hatte eine Toilette und ein Badezimmer.
    All dies sagte ich auch Ma. Aber sie erklärte mir: »Ich will zurückgehen. Ich bin allein, einsam, ich will bei meiner Familie sein.« Also bezahlte ich 1998 die lange Reise nach Las Anod für sie und eine Begleitung, und sie reiste ab. Suban und Mahad waren schon geschieden; nach der Scharia musste Mahad nur zwei von seinen Kumpeln zusammentrommeln und dreimal den talaq – die Erklärung – sprechen: »Ich verstoße dich, und Allah ist mein Zeuge.« Immerhin konnte sich Suban jetzt wenigstens nicht mehr beschweren, Ma mische sich in ihre Beziehung mit Mahad ein. Und Mahad konnte sich nicht beklagen, dass unsere Mutter ihn als Geisel halte. Ich dachte, ich hätte das Problem gelöst.
    Damals korrespondierten Mahad und ich hin und wieder. Er telefonierte oder schrieb Listen mit Bestellungen, in denen er genau die Kleidungsstücke aufführte, die ich ihm schicken sollte, und die Geschäftskontakte, die ich für ihn herstellen sollte. Er war herrisch, er schimpfte, er schien immer kurz vor einem Wutanfall zu stehen. Ausführlich erklärte er mir immer wieder, dass er plane, eine Miliz aufzustellen, um die somalische Küste vor Umweltverschmutzern zu schützen. Bei fünf Gulden pro Minute waren das ziemlich teure Anrufe, und ich erinnere mich noch immer gut daran. Obwohl sein Stolz auf keine vorzeigbare Leistung gründete, benutzte Mahad oft das Wort Ehre. »Denk an unseren Namen«, schalt er mich und erklärte mir, ich sei verpflichtet, ihm im Namen der Familienehre zu helfen.
    Ein paar Monate, nachdem meine Mutter in ihre Heimat gezogen war, erhielt ich einen Anruf von meinem Vater, der damals in einem anderen Teil Puntlands lebte. Seine Stimme klang traurig. »Ayaan, mein Kind, diesmal rufe ich wegen Mahad an.«
    Tränen schossen mir in die Augen, und das Gefühl der Hilflosigkeit breitete sich in mir aus. Ich dachte, Abeh wolle mir mitteilen, dass Mahad tot sei.
    Stattdessen sagte er: »Mahad hat den Verstand verloren. Das ist schlimmer als der Tod. Er ist mit Stricken festgebunden. Ich habe zu Allah gebetet, ihn wieder gesund zu machen.«
    Nach dem, was mir mein Vater in weiteren Telefongesprächen erzählte, war Mahad offenbar manisch-depressiv.
    Von uns drei Geschwistern hätte Mahad es eigentlich am weitesten im Leben bringen sollen. Er war der Intelligenteste. Er hatte die weitaus meisten Chancen, und vor allem hatte er das Recht, vorwärtszukommen. Ständig wurde er ermutigt, sich selbst für den Größten, Besten, Unglaublichsten zu halten. Schon als Kind war Mahad immer höchst empfindlich, was die Ehre anging. Er grübelte über die Untaten seiner Schwestern nach und er schlug uns. Doch sobald ein Besucher auftauchte – sei es nun ein Kenianer oder unser Clanoberhaupt –, war er charmant, zurückhaltend und gab sich alle Mühe zu zeigen, wie vornehm und überlegen unsere Familie war.
    Nach dem Bürgerkrieg in Somalia allerdings sah Mahad, dass die Erwartungen unseres Vaters für die Zukunft Somalias gegenstandslos geworden waren. Unsere Mutter war vereinsamt und verbittert; unsere Schwester war verrückt geworden und nach mehreren Abtreibungen gestorben, und ich lebte unverheiratet mit einem Ungläubigen zusammen. Mahad, der immer nach Größe und Reichtum gestrebt hatte, ohne je irgendwelche Fertigkeiten oder einen Beruf zu erlernen, der ihm geholfen hätte, beides zu erreichen, muss dies alles als Scheitern unserer Familie begriffen haben. Unsere Familienehre lag am Boden. Und da jeder Mahad, dem einzigen Jungen, immer wieder eingehämmert hatte, dass es seine Pflicht war, die Familienehre hochzuhalten und zu verteidigen, hatte er vielleicht das Gefühl, dies alles sei letztendlich auf sein Versagen zurückzuführen sei. Er hatte den Erwartungen und Pflichten eines guten muslimischen Sohnes nicht gerecht werden können.
    Das Leben meines Neffen lag jetzt ganz in den Händen seiner Mutter. Ich hatte gedacht, dass ich die Probleme zwischen den Erwachsenen, die für den Jungen verantwortlich waren, gelöst hätte, doch nun war Mahad nicht mehr in der Lage, seinen Sohn zu unterstützen. Und ich konnte nicht helfen, jedenfalls nicht von Holland aus.
    Ich hielt weiter sporadischen

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