Ich bin eine Nomadin
wirklich glaubte, Mahad würde mir helfen, meinen Vater davon zu überzeugen, dass das der falsche Weg war. Doch als sich die Gelegenheit bot, sagte Mahad kein Wort. Er erwähnte das Thema gar nicht. Mein Vater schwadronierte darüber, was für eine wunderbare Partie er da eingefädelt habe, und Mahad nickte nur dazu.
Also ging ich weg und baute mir ein eigenes Leben in Holland auf. Aus den sporadischen Briefen von Haweya erfuhr ich, dass Mahad eine gute Frau gefunden und heimlich geheiratet hatte, Suban. Sie war groß, schön und aus einem angesehenen Clan. Sie war Flüchtling. Ihre Familie war früher reich gewesen, hatte jedoch im Bürgerkrieg alles verloren. Das war gut für Mahad, denn so musste er keinen allzu hohen Brautpreis bezahlen, vielleicht gar nichts. Haweya deutete an, dass Abeh mit der Ehe einverstanden war, Ma jedoch nicht: Das Mädchen war nicht gut genug. Ich glaube, sie hasste sie einfach, weil sie das Gefühl hatte, Suban habe ihr Mahad weggenommen. Ma wollte immer, dass ihr Sohn ein Mädchen aus dem Dhulbahante-Clan heiratete. Aber vielleicht hätte sie wie manche Mütter überall auf der Welt jede Frau gehasst, die ihren Sohn heiratete.
Mahad hatte Ma erst von der Heirat erzählt, als Suban schwanger war.
Kapitel fünf
DER SOHN MEINES BRUDERS
Ich sah Mahad erst nach Haweyas Tod im Jahr 1998 wieder. Damals lebte ich mit meinem niederländischen Freund zusammen, studierte an der Universität Leiden und arbeitete an einem Master-Abschluss in Politikwissenschaften; nebenbei jobbte ich als Dolmetscherin und ich hatte mich um die niederländische Staatsbürgerschaft beworben. Mahad war noch immer in Nairobi. Obwohl seine Frau Suban jederzeit ihr Kind zur Welt bringen konnte, wohnte er bei meiner Mutter.
Haweya wurde begraben, während ich noch irgendwo zwischen Amsterdam und Nairobi in der Luft war. Mahads Sohn wurde zehn Tage nach ihrem Tod geboren, nur eine Woche nach meiner Rückkehr nach Kenia.
Als Mahad nach Hause kam und meiner Mutter verkündete: »Ma, Suban hat ein Kind bekommen«, erstarrte das Gesicht meiner Mutter. Kein Muskel regte sich.
»Ma, ich habe einen Jungen, ich habe einen kleinen Jungen«, sagte Mahad.
Ma wandte sich ab, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und ihre Lippen zitterten.
Mahad wusste nicht, ob er Mas Reaktion ihrer Trauer, Wut und Verwirrung nach Haweyas Tod zuschreiben sollte oder ob sie einfach nur schwierig war wie auch sonst manchmal.
Ich besuchte das Baby, als es gerade mal drei Tage auf der Welt war. Suban versuchte es an der Brust zu beruhigen, doch es drehte sein kleines rotes, faltiges Gesicht von der Brustwarze weg, blinzelte und weinte.
Den Besuch bei Suban musste ich heimlich machen. Als ich Ma und Mahad gegenüber erwähnte, dass ich mir sein Baby ansehen und seine Frau kennenlernen wollte, explodierte Ma. »Hast du eben gesagt, dass du mich verraten willst, wie Haweya mich verraten hat? Wie dein Bruder, dein absolut nichtsnutziger Bruder mich verraten hat?«
Ich wusste, dass Ma mit Mahads Ehefrau nicht einverstanden war. Das hatte Haweya mir berichtet. Aber ich hielt es für das Natürlichste auf der Welt, dass eine Frau ihr Enkelkind – einen Enkel sohn noch dazu – willkommen hieß. Stattdessen schmollte Ma auf ihrer Matratze, in ihre garbasaar- Tücher gehüllt, niedergeschlagen und ausgemergelt. Sie war immer dünn gewesen, aber jetzt sah sie so ausgezehrt aus, dass ich bei ihrem Anblick jedes Mal von Mitleid und Schuldgefühlen überwältigt wurde.
Ihre Haltung zu dem neuen Kind jedoch verwirrte und erzürnte mich. Ma hatte gerade ein Kind verloren, Mahad und ich eine Schwester. Warum ärgerte sie sich über die Ankunft eines neuen Lebens?
»Es ist wie immer: Du gehst los und tratscht meine Schande bei anderen Frauen herum«, schimpfte sie.
Ich protestierte, ich wollte doch nur das Baby meines Bruders sehen. Doch Ma schnitt mir das Wort ab. »Der Junge ist ein wa'al, ein Bastard. Er ist nicht Mahads Kind. Die Hure geht mit jedem Mann, der ihr einen Schilling zuwirft.«
Mahad fiel ihr ins Wort. »Hör auf, Ma, bitte, Ma, ich bitte dich …«
»Möge Allah, der Allmächtige, euch beide hinwegnehmen!«, jammerte sie mit zitternder Stimme. »Er hat Haweya genommen, um mich vor ihrer Schande zu schützen.«
Ich war fassungslos. Mas Verfluchungen und ihr unerträgliches Selbstmitleid brachten mich mit einem Schlag wieder in die Wirklichkeit zurück. Mehr als fünf Jahre war ich fort gewesen, und in der Zeit hatte ich die Erinnerung
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