Ich Bin Gott
selbst waren zu dritt im Büro des Captains im dritten Stock zurückgeblieben. Dort warteten sie nun, jeder mit seinen persönlichen Gespenstern befasst und mit seinen zweifelhaften Methoden, sie zu vertreiben.
Vivien war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, das Telefon des Captains möge klingeln, und der Furcht, ihr eigenes Handy könne es tun und schlechte Nachrichten von Greta bringen. Russell hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und die Füße auf ein niedriges Tischchen gelegt. Er starrte ins Leere und bewies eine Fähigkeit abzuschalten, die man ihm nicht zugetraut hätte. Der Captain las die ganze Zeit irgendwelche Berichte, doch Vivien hätte wetten können, dass er nicht ein einziges Wort von dem, was dort stand, aufnahm. Die Stille war zu einem Spinnennetz geworden, aus dem sich niemand herauswinden wollte. Jede Unterhaltung hätte nur zu weiteren Vermutungen und Hoffnungen geführt, und in diesem Moment brauchten sie nichts als eine konkrete Information aus der Realität.
Als das Telefon auf dem Schreibtisch endlich klingelte, zeigte das Licht auf den Mauern gegenüber, dass es langsam Abend wurde. Der Captain riss den Hörer so schnell ans Ohr, dass Vivien unwillkürlich an eine Zeichentrickfigur denken musste.
» Bellew.«
Die undurchdringliche Miene des Captains tat nichts, um Russells und Viviens Neugierde zu befriedigen.
» Warte.«
Er nahm einen Stift und ein Blatt Papier, und Vivien sah, wie er eilig etwas hinkritzelte.
» Hervorragende Arbeit, Männer. Kompliment.«
Der Hörer lag noch nicht wieder auf seinem Platz, da hob Bellew schon den Kopf und reichte Vivien seine Notiz. Vivien nahm sie entgegen, als handelte es sich um glühende Kohlen.
» Wir haben einen Namen. Ein paar Krankenschwestern des Samaritan Faith Hospital in Brooklyn konnten sich noch an diesen Mann erinnern. Sie sagen, dass er ein richtiges Monster war, von Kopf bis Fuß verunstaltet. Er ist vor etwas mehr als einem halben Jahr gestorben.«
Vivien sah auf das Blatt, das sie in den Händen hielt. Dort stand
WENDELL JOHNSON – HORNELL NY 7 . JUNI 1948
140 Broadway Brooklyn
in der schrägen und flüchtigen Handschrift des Captains.
Vivien konnte kaum glauben, dass ein Schatten, den sie bislang vergeblich verfolgt hatten, plötzlich zu einem Menschen mit Namen, Adresse und Geburtsdatum geworden war. Ebenfalls kaum zu glauben war aber auch die Zahl der Opfer, die mit diesem Namen zusammenhing und sich möglicherweise noch vergrößern würde.
Während sie las, war Bellew schon in Aktion getreten, von Eile und Furcht getrieben wie sie alle. Er telefonierte mit der Zentrale.
» Gib mir die Polizei von Hornell im Staat New York.«
Geduldig wartete er auf die Verbindung und schaltete die Freisprechanlage ein, damit alle mithören konnten.
Eine professionelle Stimme kam aus dem kleinen Lautsprecher des Apparats.
» Polizei Hornell. Was kann ich für Sie tun?«
» Hier ist Captain Alan Bellew vom 13 . Revier in Manhattan. Mit wem spreche ich?«
» Mein Name ist Agent Drew, Sir.«
» Kann ich bitte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen? Es ist dringend.«
» Einen Augenblick, bitte.«
Das Gespräch wurde in die Warteschleife mit dem unvermeidlichen Jingle geschickt. Kurz darauf hörte man die tiefe Stimme eines Mannes, der um einiges älter zu sein schien als der vorige.
» Captain Caldwell.«
»Hier ist Captain Alan Bellew von der New Yorker Polizei.«
Am anderen Ende der Leitung trat ein kurzes Schweigen ein. In diesen Tagen den Namen der Big-Apple-Metropole zu hören, rief sofort die Vorstellung von brennenden Gebäuden und zugedeckten Leichen hervor.
» Guten Abend, Captain. Was kann ich für Sie tun?«
» Ich brauche Informationen über einen gewissen Wendell Johnson. Meinen Unterlagen entnehme ich, dass er am 7. Juni 1948 in Hornell geboren wurde. Haben Sie ihn in Ihrer Datenbank?«
» Eine Sekunde.«
Nur das Geräusch der rasch über die Tastatur fliegenden Finger war noch zu hören. Dann wieder die Stimme von Captain Caldwell.
» Da haben wir ihn. Wendell Bruce Johnson. Die einzige hier verzeichnete Vorstrafe ist eine Verhaftung wegen Trunkenheit am Steuer im Mai 1968 . Das ist alles.«
» Sind Sie sich sicher?«
» Geben Sie mir noch eine Sekunde.«
Wieder das Geräusch der Finger auf den Tasten und wieder die Stimme.
Vivien stellte sich einen korpulenten Mann vor, der mit einer für seine Verhältnisse viel zu komplizierten Technologie kämpfte und lieber möglichst viele Strafzettel ausstellte,
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