Ich Bin Gott
Katze mit ihren drei …
» Scheiße!«
Vivien war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, dass sich in der Abfahrt zum Hutchinson River Parkway ein Stau gebildet hatte. Heftig trat sie auf die Bremse und riss das Steuer nach links, um nicht auf das Auto vor ihr aufzufahren. Der Fahrer eines großen Pickup hinter ihr betätigte wütend die Hupe. Im Rückspiegel sah Vivien, dass er sich vorbeugte und ihr den Mittelfinger zeigte.
Normalerweise griff sie ungern zu gewissen Mitteln, wenn sie nicht im Dienst war, aber jetzt entschied sie, dass sie es eilig hatte. Ihre Unkonzentriertheit machte sie nervös, mehr noch als die Geste des Mannes. Sie öffnete das Fenster, holte das magnetische Blinklicht hinter dem Sitz hervor, schaltete es ein und setzte es aufs Autodach.
Lächelnd sah sie, wie der Mann schnell die Hand herunternahm und aus ihrem Blickfeld verschwand. Die Autos vor ihr fuhren, soweit es ihnen möglich war, zur Seite, um sie durchzulassen. So bahnte sie sich ihren Weg in Richtung Zerega Avenue, bog in die Logan Avenue ein und stand ein paar Häuserblocks weiter neben der Saint-Benedict-Kirche.
Sie stellte den XC 60 auf einen freien Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite, blieb einen Moment sitzen und betrachtete die Front aus hellem Backstein und die kurze Treppe, die zu den drei mit Rundbögen überspannten und mit Säulen und Ornamenten verzierten Türen führte.
Der Bau war nicht alt. Seine Geschichte durfte nicht in der Vergangenheit gesucht werden, sondern in dem, was er in der Gegenwart für die Zukunft bedeutete. Vivien hätte nie geglaubt, dass ihr ein solcher Ort eines Tages so vertraut werden könnte.
Sie stieg aus und überquerte die Straße.
Es herrschte schon das Dämmerlicht, das die Farben der Katzen verschluckte, aber Personen noch erkennbar sein ließ. Als sie sich dem Priorat näherte, sah sie Pater Angelo Cremonesi, einen der Vikare der Pfarrei, mit einem Mann und einer Frau aus der Tür kommen. Normalerweise konnte man samstags von vier bis fünf die Beichte ablegen, aber hier nahm man es mit den Zeiten nicht so genau.
Vivien stieg die wenigen Stufen hinauf und ging auf den Pater zu. Der blieb stehen, während das Paar sich entfernte.
» Guten Abend, Ms. Light.«
» Guten Abend, Reverend.«
Vivien gab ihm die Hand. Der Geistliche, der schon jenseits der sechzig war, hatte weißes Haar, markante Gesichtszüge und einen sanften Blick. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er sie an Spencer Tracy in einem alten Film erinnert.
» Möchten Sie Ihre Nichte abholen.«
» Ja. Ich habe mit Pater McKean gesprochen, und wir glauben beide, dass es an der Zeit ist, es einmal für ein paar Tage zu probieren. Montagvormittag bringe ich sie zurück.«
Als sie seinen Namen aussprach, sah sie Michael McKeans ausdrucksvolles Gesicht und seine Augen vor sich. Sein Blick schien Menschen und Wände zu durchdringen. Ohne Schlösser aufbrechen oder Wände einreißen zu müssen. Vielleicht lag es an seiner Fähigkeit, hinter die Fassade zu blicken, dass er immer da war, wenn man ihn brauchte.
Der Vikar, ein sanfter, aber pingeliger Mensch, legte Wert auf Vollständigkeit.
» Pater McKean ist heute nicht da, er lässt sich entschuldigen. Die Kinder sind noch am Hafen. Ein freundlicher Mann, auf dessen Namen ich mich nicht besinne, hat sie zu einer Segeltour eingeladen. Soeben hat mich John angerufen. Er weiß von Ihrer Vereinbarung mit Michael, und ich soll Ihnen sagen, dass sie fast fertig sind und dann kommen.«
» Sehr gut.«
» Möchten Sie im Priorat warten?«
» Nein danke, Reverend. Ich warte in der Kirche auf sie.«
» Dann bis bald, Ms. Light.«
Der Geistliche entfernte sich. Möglicherweise hielt er ihre Absicht, in der Kirche zu warten, für religiöse Hingabe. Vivien war das gleichgültig, sie wollte jetzt nur alleine sein.
Sie drückte gegen den Türflügel und ging durch die mit hellem Holz verschalte Vorhalle, vorbei an den Nischen mit den Statuen der heiligen Theresa und des heiligen Gerhard. Eine weitere, kleinere Tür führte ins Kircheninnere.
Dort war es kühl. Halbdunkel und Stille beherrschten den Raum. Der Altar auf der anderen Seite des einzigen Kirchenschiffs vermittelte das Gefühl, angenommen und beschützt zu werden.
Vivien hatte noch nie die Gegenwart Gottes verspürt, wenn sie in einer Kirche gewesen war. Einen Teil ihres kurzen Lebens hatte sie auf der Straße verbracht und war dort schon allzu vielen Dämonen begegnet, vor denen
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