Ich Bin Gott
Detective breitete resigniert die Arme aus.
» Ich warte sehnsüchtig auf Russell Wade, der heute zu diesen ganzen illegalen Spielhöllen aussagen soll. Es wird ein überaus spannender Vormittag.«
Vivien sah wieder Wades zerknautschte Gestalt vor sich, wie er in Begleitung seines Anwalts das Revier verlassen hatte, und sie dachte an Bellews Worte. Das chaotische Leben dieses Mannes war ein veritabler Versuch der Selbstzerstörung.
» Warst du es, der ihm eine verpasst hat?«
» Ja. Und ich verrate dir gerne, dass ich es mit einer gewissen Genugtuung getan habe. Ich kann diesen Typen nicht leiden.«
Vivien konnte nichts erwidern, denn im selben Moment erschien der fragliche Typ in Begleitung eines uniformierten Beamten in der Tür. Er sah etwas manierlicher aus als beim letzten Mal, obgleich man seiner Lippe noch Tylers Behandlung ansehen konnte.
» Lupus in fabula«, sagte der Kollege neben ihr leise.
Der Polizist verschwand, und Wade kam auf sie zu. Er blieb vor Tyler stehen, der sich zu keiner Höflichkeit hinreißen ließ. Sein kurzer Gruß war so förmlich, dass es an Sarkasmus grenzte.
» Guten Tag, Mr. Wade.«
» Gibt es einen Grund, warum es ein solcher sein sollte?«
» Mir fällt keiner ein, für keinen von uns beiden.«
Wade wandte sich Vivien zu, die neben Tyler saß. Er sagte nichts, sondern sah sie nur einen Moment lang an. Dann fiel sein Blick auf das Foto auf dem Schreibtisch. Er sah wieder Tyler an.
» Okay. Können wir die Sache schnell hinter uns bringen?«
Die Frage war in einem leicht provozierenden Ton gestellt worden, und Tyler nahm die Herausforderung an.
» Sie haben Ihren Anwalt nicht mitgebracht?«
» Warum? Wollen Sie mir noch eine in die Fresse schlagen?«
Vivien hätte schwören können, Belustigung in Wades Blick aufflackern zu sehen. Vielleicht hatte auch Tyler das gesehen, denn seine Miene verdüstert sich. Er trat zur Seite und deutete nach rechts.
» Hier entlang, bitte.«
Während sich die Männer in Richtung von Tylers Schreibtisch entfernten, musste Vivien über den Schlagabtausch lächeln. Dann widmete sie sich der Akte zum Fall der eingemauerten Leiche an der 23 rd Street. Sie schlug die Mappe auf und fand dort den Obduktionsbericht und eine Kopie der Fotografien, die sie in der Brieftasche neben der Leiche gefunden hatten. Bellew mochte darauf bestehen, dass alle Fälle, die in seinem Revier geschahen, von ihm bearbeitet wurden, dennoch war sich Vivien sicher, dass der Fall an die Cold Case übergeben werden würde. Aus diesem Grund las sie den Bericht des Gerichtsmediziners nur flüchtig. In komplizierten Fachbegriffen bestätigte er die Todesursache, die der Arzt am Fundort mit einfacheren Worten beschrieben hatte. Der Todeszeitpunkt lag schätzungsweise fünfzehn Jahre zurück, wobei aufgrund der Bedingungen, unter denen der Leichnam konserviert worden war, eine gewisse Ungenauigkeit einkalkuliert werden musste. Die Analyse der Kleidungsreste lag noch nicht vor, und auch die Zahnuntersuchung lief noch. Abgesehen von glatten Brüchen am rechten Oberarm und am rechten Schienbein und einer Tätowierung an der Schulter, die auch nach dieser langen Zeit noch zu sehen war, wies die Leiche keine besonderen Merkmale auf. Die Akte enthielt ein Foto von der Tätowierung. Es handelte sich um den Jolly Roger, die Piratenflagge mit dem Schädel und den gekreuzten Knochen, ein ziemlich verbreitetes Motiv. Darunter stand in der dazu passenden Schrift
THE ONLY FLAG
Vivien dachte über die Bedeutung dieses Schriftzugs und die Ironie des Schicksals nach. Sich mit dem zu schmücken, was er für die einzig wahre Flagge hielt, hatte diesen Mann nicht davor bewahrt, ein schlimmes Ende zu nehmen. Die Tätowierung war vielleicht der einzige Hinweis, der bei der Identifizierung der Leiche helfen könnte, weil der Mann möglicherweise irgendeiner Gruppe oder Vereinigung angehört hatte.
Das war alles, was die Akte enthielt, und damit auch alles, was sie an Hinweisen hatten.
Die Ermittlungen versprachen ziemlich langweilig zu werden: eine Recherche beim Department of Buildings, der Bauordnungsbehörde der Stadt New York, zu den beiden abgerissenen Häusern.
Die Aussagen der Eigentümer und der Bewohner.
Die Vermisstenmeldungen aus dieser Zeit.
Vivien legte den Befund beiseite, nahm die Fotos zur Hand und betrachtete den uniformierten jungen Mann, der in diesem eher peinlichen als ruhmreichen Krieg vor einem Panzer stand. Dann sah sie sich das Foto an, auf dem er die
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