Ich Bin Gott
paar Fotoapparate gekauft hätte, zog er ein Gesicht, als hätte ich vor seinen Augen sein Geld verbrannt. Robert hingegen war begeistert. Er hat mir in jeglicher Hinsicht geholfen und mich ermutigt. Alles was ich kann, hat er mir beigebracht.«
Vivien stellte fest, dass ihr Gast, der doch erklärtermaßen riesigen Hunger hatte, nicht einmal den ersten seiner beiden Cheeseburger aufgegessen hatte. Aus eigener Erfahrung wusste sie allerdings nur zu gut, dass Erinnerungen auf den Magen schlagen können.
Als Russell weitererzählte, hatte Vivien den Eindruck, dass er zum ersten Mal mit jemandem über diese Dinge sprach. Sie fragte sich, warum er sich ausgerechnet sie dafür ausgesucht hatte.
» Ich wollte sein wie er. Ich wollte meinem Vater und meiner Mutter und all ihren Freunden beweisen, dass auch ich etwas tauge. Als Robert in den Kosovo fuhr, habe ich ihn also gebeten, mich mitzunehmen.«
Russell hatte die ganze Zeit woandershin geschaut. Als er sie jetzt ansah, schien eine neue Vertrautheit zwischen ihnen entstanden zu sein.
» Hast du die Geschichte des Balkankonflikts noch präsent?«
Vivien wusste nicht viel darüber und schämte sich einen Augenblick über ihre Unwissenheit.
» Mehr oder weniger.«
» Ende der neunziger Jahre war der Kosovo eine Provinz des ehemaligen Jugoslawien und wurde mehrheitlich von einer albanisch-muslimischen Bevölkerung bewohnt. Die wurde mit eiserner Hand von einer serbischen Minderheit regiert, die jegliche separatistischen Ambitionen in Schach halten und einen Anschluss an Albanien verhindern wollte.«
Vivien war von Russells Stimme fasziniert. Er hatte eine große Gabe, über diese Dinge zu reden, und bezog gleichzeitig seinen Gesprächspartner mit ein, bis er Teil des Ganzen war. Vielleicht war das sein eigentliches Talent, dachte sie. Und sie war sich sicher, dass er am Ende dieser ganzen Angelegenheit eine große Geschichte zu erzählen haben würde.
Seine große Geschichte.
» Alles hatte vor langer Zeit angefangen. Vor Jahrhunderten. Im Norden der Hauptstadt Pristina gibt es ein Gebiet, das sich Kosovo Polje nennt, Amselfeld. Ende des vierzehnten Jahrhunderts fand dort eine Schlacht statt, bei der die christliche Armee einer serbisch-bosnischen Koalition unter einem gewissen Lazar Hrebeljanov i ´ c vom Heer des osmanischen Reichs geschlagen wurde. Vor allem die Serben mussten enorme Verluste hinnehmen. Nach dieser vernichtenden Niederlage wurde an diesem Ort ein einzigartiges Monument errichtet. Es handelt sich um einen Turm, der einen ewigen Fluch gegen die Feinde des serbischen Volkes symbolisiert und ihnen wünscht, sie mögen in dieser und in der anderen Welt alles Gute auf möglichst grausame und blutige Weise verlieren. Ich war dort. An diesem Denkmal habe ich etwas begriffen.«
Er machte eine Pause, als suchte er nach den richtigen Worten, um in knapper Weise seine Gedanken auszudrücken.
» Kriege hören irgendwann auf. Der Hass aber bleibt.«
Vivien fragte sich, ob er wieder an die Worte des Briefes und ihren tieferen Sinn dachte.
Ich habe mein ganzes Leben lang, vor und nach dem Krieg, auf dem Bau gearbeitet.
» Im Jahr 1987 hat Milošev i ´ c, wie mir Robert erklärt hat, geschworen, dass nie wieder irgendjemand die Hand gegen einen Serben erheben würde. Diese Absichtserklärung machte ihn zum Mann des Augenblicks, und er wurde Präsident. 1989 , genau sechshundert Jahre nach der Schlacht auf dem Amselfeld, hielt er neben dem Monument vor fünfhunderttausend Serben eine Kriegsrede. An jenem Tag schlossen sich alle Albaner in ihren Häusern ein.«
Russell machte eine Handbewegung, als wollte er die Zeit einfangen.
» Wir sind Anfang 1999 in den Kosovo gekommen, als die Repressionen und die Kämpfe mit den UÇK-Rebellen – der Befreiungsarmee des Kosovo – die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen veranlasst haben. Ich habe Dinge gesehen, die ich nie wieder vergessen werde, Dinge, an denen Robert ungerührt vorüberging, vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht aber auch, weil er einfach so war.«
Vivien fragte sich, ob Russell sich je von Roberts Geist würde befreien können.
» Eines Nachts, kurz bevor die Bombardierungen der NATO begannen, wurden alle Journalisten und Fotografen ausgewiesen. Gründe wurden nicht genannt, doch die allgemeine Vermutung ging dahin, dass umfassende ethnische Säuberungen geplant waren. Der Präfekt in Priština sagte klar und deutlich, dass er allen, die führen, eine gute Reise wünsche. Allen anderen
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