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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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liebte, schien alles andere in der Welt einen unbeschreiblichen, perfekten widersinnigen Sinn zu ergeben. Saskia, die mich links liegen ließ, die Glasfaserwände, die einsamen alten Damen auf ihren Runden durch den Zoo, die kleinen Kinder mit ihrem Karamellpopcorn, die Kakadus, die Affen und alles andere unter der Sonne, wundersam und fremd, und ich wollte die ganze Welt umarmen. Ich hatte Futter, Wasser, Freunde und Kitch. Was brauchte ich sonst noch?
    Wenn ich nur daran zurückdenke, schäme ich mich ein wenig. Das war am Mittwochmorgen.
    Es dauerte nicht lange, bis die Stimmung kippte. Es begann damit, dass ich zu dem Glasfaserfelsen schlenderte, auf dem normalerweise mein Futter herunterrutschte, wo es eine schleimige rote Spur hinterließ. Ich blieb davor stehen, sah hinauf und wartete. Nichts. Ich schnüffelte, wartete. Dann schloss ich die Augen, öffnete sie wieder.
    Kein Futter.
    Ich wartete noch eine Weile. Und ich wartete und wartete. Ich überlegte mir ein Spiel: Ich schloss für ein paar Sekunden die Augen und redete mir ein, sobald ich sie wieder öffnete, wäre mein Futter da. Von Mal zu Mal hielt ich sie länger geschlossen, aber mein Futter kam nicht.
    Ich hatte jetzt großen Hunger, und wenn ich Hunger habe, bekomme ich Kopfschmerzen. Ein dumpfes Pochen. Ich kniff die Augen zu und versuchte, den Schmerz wegzuschlafen, aber es wurde bald unerträglich heiß in der Sonne – es war Mitte August – und ein schattiges Plätzchen wollte ich mir auch nicht suchen, damit ich das Futter, wenn es denn endlich kam, nicht verpasste, sonst vergriff sich womöglich Maharaj daran, der zwar mit seiner eigenen Mahlzeit fertig war, aber immer noch nicht genug hatte.
    Ich legte mich also genau da hin, wo ich stand, in die pralle Sonne, und versuchte das Pochen in meinem Kopf zu besänftigen. Mittlerweile waren die ersten Besucher da – nicht nur ein paar morgendliche Spaziergänger, sondern wahre Horden, riesige Sommerferienschwärme, drei oder vier Reihen hintereinander, allein fünf oder sechs Schulbusladungen aus dem Ferienlager, und dazu die Touristen und die bekannten Gesichter.
    Normalerweise stören mich die Zoobesucher nicht. Sie machen ihr Ding, ich meins. Sie kommen, beobachten mich ein paar Minuten, zeigen mit dem Finger auf mich und gaffen, sie reden über mich, essen ihr Eis, tun alles Mögliche, mir doch egal. Aber an dem Tag waren es so viele, und sie waren so laut, und ich hatte solchen Hunger. In meinem Kopf hämmerte es, und ich versuchte, mich zu entspannen und ruhig auf mein Futter zu warten, aber sie redeten ununterbrochen und irgendein Kind schrie: »Aufwachen! Aufwachen, Tiger! Aufwachen!« Und dann fiel ein ganzer Chor von anderen Kindern mit ein. »Aufwachen, Tiger! Aufwachen!«
    Vielleicht hätte ich sie sogar irgendwann ausblenden können und wäre eingeschlafen, aber genau in dem Moment roch ich Saskia, und ihr Duft machte mich wieder munter. Sie kam direkt auf mich zu, leicht tänzelnd wie immer. Versonnen betrachtete ich das zarte weiße Fell direkt unterhalb ihres Schwanzes, wie er leicht darüber strich, wenn sie sich hin und her wiegte. Wie gesagt, ich war über sie hinweg. Es machte mir nichts aus, dass sie mit Maharaj zusammen war, mit Maharaj fickte. Aber das hieß ja nicht, dass ich nicht mehr ihren neckischen Gang bewundern durfte oder dass es mir verboten war, ihren herrlichen Duft einzuatmen, wenn sie auf mich zuschlenderte.
    Ich schnurrte sie an, ganz lässig. Nur ein »Hi Saskia«-Schnurren. Ich wartete darauf, dass sie meinen Gruß erwiderte, aber sie sah mich nicht einmal an. Sie ging an mir vorbei, als wäre ich Luft.
    Das wiederum ärgerte mich. Es war das eine, wenn sie mit Maharaj schlief. Das war ihre Sache und ging mich nichts an. Aber mich einfach so zu ignorieren, als wären wir Fremde – das war zu viel. Ich kam mir etwas lächerlich vor, weil ich mich vor Bewunderung für ihren Gang und alles so hatte gehen lassen, und um ihr zu zeigen, dass ich sauer war, knurrte ich. Nur ein bisschen, begleitet von einem kleinen Prankenhieb als Warnung. Ich kann sie unmöglich berührt haben. Aber als sie sah, wie ich die Pranke hob, sprang sie mit einem Satz herum und brüllte so laut, dass ich mich fast bepinkelt hätte. Na gut, ich habe mich bepinkelt. Dann ging sie einfach, ganz lässig.
    Jetzt lachten die Schulkinder über mich, aber ich beachtete sie nicht, legte mich wieder hin und rollte mich ein. Dann hörte ich ein vertrautes Rascheln in den Büschen und wurde

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