Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
berühmte (oder bald berühmte) Geburtsszene:
Von jenem Augenblick an, als ich auf den blutdurchtränkten Boden dieser schummrigen Welt plumpste, hatte ich nur den Wunsch, wieder in jene unendliche Wärme zurückzukriechen, die ich hinter mir gelassen hatte – die weiche, liebende Quelle grenzenloser Güte, die einzige Erinnerung, die mir heute von meiner Mutter bleibt. Ich versuchte zu stehen und fiel hin, versuchte es erneut und fiel wieder. (Und noch immer versuchen wir es, noch immer fallen wir.) Dort am Rand standen, selbst für meine Neugeborenenaugen klar erkennbar, zwei Personen: eine menschliche Gestalt, gelassen und streng, vor der alle Anwesenden ehrerbietig Abstand hielten, und auf seinen Schultern ein strammes, aufgeregtes und von Ehrfurcht ergriffenes Kleinkind, dessen Gesicht mir so vertraut werden sollte. Mit stummem Blick verfolgten die beiden das blutige Wunder der Natur, ohne mich jedoch anzurühren: Ich war wundervoll, aber zu bizarr. (Glaubten sie etwa, ich hätte nichts mit ihnen zu tun? Oder schreckten sie zurück, weil sie wussten, dass mein massiger, faltiger Körper Fleisch von ihrem Fleisch war?) Dafür kam jetzt aber der mürrische Mahut, der sich in seinem hohen Alter offensichtlich das Vertrauen meiner Mutter erarbeitet hatte und mich anfassen und waschen durfte, und goss mir kaltes Wasser in meine verschleimten Ohren und über meine verklebten Augen. Ich hustete und spuckte, und heraus kam die weiche weiße Schmiere, die meine Kehle verstopft hatte, und nun schrie und kreischte ich und hörte meine eigene Stimme. (Trotz des Kälteschocks durch das unzimperliche Vorgehen des Mahut hatten seine sicher ausgeführten Menschenhandgriffe etwas Ermutigendes, und mein Gefühl sagt mir im Nachhinein, dass er seine Vertrauensstellung zu Recht genoss, doch der schweigsame alte Mann verschwand nach jener Nacht ebenso plötzlich und unwiderruflich wie meine Mutter, der er gedient hatte.)
Und noch lange wird mir im Gedächtnis bleiben, was der kleine Junge am Schluss rief. Er hatte eine ganze Weile in sprachlosem Staunen verharrt, die Beine über den starken Schultern seines Vaters gegrätscht, und war mit großen Augen Zeuge meiner bewegenden Elefantengeburt geworden, als die in diesen schweigsamen Minuten angestauten Gefühle schließlich aus ihm hervorbrachen. Sein kleines Gesicht zog sich zusammen wie eine Verwachsung in einem Baum, und unter Schluchzen quiekte er: »Ich liebe ihn! Ja, ja, ich liebe ihn!« Dann vergrub er das Gesicht im Nacken des Menschen, der ihn trug, wobei sein erschrockenes Geständnis diesem Mann ein ungutes Lächeln auf die Lippen spielte und den um mich versammelten Elefanten einen unbehaglichen Schauder über den Rücken jagte.
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