Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
hielt ihn fest in den Pranken – und in gewisser Weise war es ein gutes Gefühl, ihn so zu halten, ein mächtiges Gefühl.
Es ging so schnell, und es war wirklich keine Absicht, glaube ich. Zumindest kam es mir nicht so vor, aber um ehrlich zu sein, auch nicht völlig unbeabsichtigt. Es war irgendetwas dazwischen. Ich lag auf ihm und biss zu – nur ein einziges Mal –, dann trat ich beiseite, alles geschah von einem Augenblick auf den anderen.
Der alte Mann hinter ihm schrie und flüchtete hinter das Menschentor, und ich blinzelte und sah hinab auf den Boden zu Kitch.
Ich hatte ihm in den Hals gebissen, und wo ich die Zähne hineingeschlagen hatte, waren jetzt zwei runde schwarze Löcher. Zwei dicke Blutstrahlen schossen daraus hervor. Kitch sah mich sorgenvoll an, sein Mund klappte auf und zu, und das Blut quoll ihm jetzt auch über die Lippen.
Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Vor ein paar Sekunden hatte Kitch noch kerngesund dagestanden, und ich hatte mich so gefreut, ihn zu sehen, und jetzt lag er meinetwegen auf dem Boden und blutete aus dem Mund. Nein, das war nicht passiert. Das konnte nicht passiert sein. Ich hatte noch nie in meinem ganzen Leben jemandem etwas zuleide getan. Ich wusste ja nicht einmal, dass ich überhaupt die Kraft hatte, einen Menschen so mühelos umzuwerfen. Um ihn herum bildete sich eine schwarze, glänzende Blutlache.
Ich musste dem so schnell wie möglich ein Ende bereiten. Was auch immer da geschehen war, ich musste es rückgängig machen. Ich rannte zu Kitch, der sich jetzt offensichtlich vor mir fürchtete. Ich leckte seinen Hals dort, wo das Blut hervorquoll; es sollte aufhören! Kitch drückte mich mit letzter Kraft von sich und versuchte, nach mir zu treten, aber ich ignorierte es und leckte weiter. Ich leckte und leckte, doch das Blut lief immer weiter, und ich leckte noch schneller.
Während ich leckte – minutenlang, so kam es mir vor –, wurde mir allmählich klar, dass ich das Blut so nicht stoppen würde. Aber ich konnte trotzdem nicht aufhören. Ich wollte nicht aufhören, denn irgendwo tief in mir nahm eine weitere überraschende Erkenntnis Gestalt an, etwas, das mir nie zuvor auch nur im Entferntesten in den Sinn gekommen war und das in mir den Wunsch weckte, immer schneller zu lecken und nie mehr aufzuhören. Die Erkenntnis war: Kitchs Blut schmeckte köstlich.
Kaum dass mir dieser Gedanke gekommen war, zuckte ich entsetzt zusammen. Es war Kitchs Blut, das ich da trank – Kitch, den ich liebte! Was tat ich da bloß?
Hilfe suchend drehte ich mich um. Saskia und Maharaj standen in einiger Entfernung und schauten mit unverhohlener Neugier herüber, aber keiner von beiden rührte auch nur eine Kralle, um mir zu helfen. Sie würden den Teufel tun, sich einzumischen, und ich hatte auch keine Lust, sie zu überreden.
Dann sah ich auf die andere Seite des Grabens, wo Dutzende von Menschen uns anstarrten, aufgeregt redeten und mit dem Finger auf uns zeigten. Irgendeiner von ihnen konnte Kitch doch sicher helfen, überlegte ich mir. Ich rannte auf und ab, brüllte und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, aber niemand machte den ersten Schritt und stieg über den Graben, um uns zu helfen. Einige warfen sogar Gegenstände nach mir – Pappbecher voll Limonade, kleine Steine – und brüllten irgendetwas. Rutscht mir doch den Buckel runter, dachte ich. Als ich mich wieder umdrehte und nach Kitch sah, hockte der alte Mann mit der Brille neben meinem Freund und machte sich an ihm zu schaffen. Half er ihm? Half ihm endlich irgendjemand? Aber kaum dass ich zu ihm hinrannte, um nachzusehen, fiel der alte Mann nach hinten um und stolperte dann eilig zur Menschentür hinaus, die hinter ihm wild auf und zu schwang.
Armer Kitch! Niemand würde ihm helfen. Seine Augen waren offen, und er sah blass aus. Das Blut sickerte jetzt nur noch als dünnes Rinnsal aus seinem Hals, und der Boden um ihn herum war durchweicht wie nach drei Tagen Regen. Seine Lippen bewegten sich nur noch ganz schwach und dann gar nicht mehr, und seine Augen starrten ins Leere. Ich leckte sein süßes Gesicht, aber er reagierte nicht. Oh Kitch! Was hatte ich bloß getan? Ich musste Hilfe holen, und wenn es das Letzte war, was ich tat. Ich drehte mich um und rannte zur Menschentür – ich war zwar noch nie dahinter gewesen, aber ich fackelte nicht lange und rannte einfach hinaus.
Draußen waren Hunderte von Leuten – wirklich Hunderte –, aber warum blieb denn niemand stehen, um mir zu
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