Ich bin kein Serienkiller
hob die verbliebene Niere hoch und deutete auf die durchtrennte Ader, die zur zweiten Niere geführt hatte. »Der Schnitt ist frisch«, wandte sie ein. »Keine Narben.«
»Darauf hätte Lauren uns ruhig vorher aufmerksam machen können.« Erbost legte Mom die Papiere weg und zupfte ein neues Paar Plastikhandschuhe aus der Schachtel. »Der werde ich was erzählen.«
Dann machten sich Mom und Margaret wieder an die Arbeit. Nur ich stand still, von einem plötzlichen Energieschub fast überwältigt und zugleich gelähmt. Das war kein gewöhnlicher Mord, und es war auch kein wildes Tier gewesen.
Jeb Jolley war das Opfer eines Serienkillers geworden.
Vielleicht war der Täter aus einer anderen Stadt gekommen, vielleicht war dies auch sein erstes Opfer gewesen, aber auf jeden Fall hatte ein Serienmörder zugeschlagen. Die Anzeichen waren überdeutlich. Das Opfer war wehrlos gewesen und hatte in unserem Ort weder Feinde noch enge Freunde oder Verwandte gehabt. Seine Bekannten aus der Bar hatten ausgesagt, er sei an jenem Abend friedlich und fröhlich gewesen, es habe keine Prügelei und keinen Streit gegeben. Also schied ein Verbrechen aus Leidenschaft oder unter Alkoholeinfluss aus. Ein Unbekannter, vom Zwang getrieben, einen Menschen zu töten, hatte hinter dem Waschsalon gelauert, und Jeb war eher zufällig zum Opfer geworden. Er hatte sich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten.
Die Zeitungen und der Tatort selbst hatten eine verwirrende Geschichte über blinde Wut und einen simplen Vorgang erzählt – die ziellose Gewalt eines Tiers war ruhigem und rationalem Verhalten gewichen. Der Mörder hatte den Körper zerfetzt und dann in aller Ruhe die Innereien aufeinandergehäuft, um ein ganz bestimmtes Organ mitzunehmen.
Jeb Jolleys Tod war ein Fall wie aus dem Lehrbuch. Ein nicht organisierter Mörder, der blindlings zuschlug und dann am Tatort blieb, wo er weder Mitleid noch Mitgefühl zeigte, während er die Tötung ritualisierte. Er legte den Körper zurecht, nahm ein Souvenir mit und ließ die Leiche offen zurück.
Kein Wunder, dass die Polizei die gestohlene Niere nicht erwähnt hatte. Wenn herauskam, dass ein Serienmörder Körperteile stahl, dann würden die Menschen in Panik geraten. Sie fühlten sich sowieso nicht mehr sicher; dabei hatte es bisher nur einen einzigen Todesfall gegeben.
Bei diesem einen Mord würde es natürlich nicht bleiben, denn genau das war ja das wichtigste Merkmal der Serienmörder: Sie hörten mit dem Morden nicht mehr auf.
VIER
Es war Anfang Oktober – Zeit für die Laubfeuer. Der Herbst war meine liebste Jahreszeit, aber nicht etwa wegen der Schule, der Herbstgemüse oder anderer weltlicher Dinge, sondern weil die Bürger des Clayton County ihr Laub harkten und verbrannten. In der frischen Herbstluft stiegen die Flammen hoch empor. In unserem kleinen Hof gab es keine Bäume, aber das alte Ehepaar auf der anderen Straßenseite hatte viele Eichen und Ahornbäume auf seinem Grundstück und andererseits keine Kinder und Enkelkinder, die sich darum kümmern konnten. Im Sommer mähte ich den Leuten für fünf Dollar die Woche die Wiese, im Winter schaufelte ich für einen Becher heiße Schokolade den Schnee aus der Zufahrt, und im Herbst harkte ich ihr Laub, weil es mir so großen Spaß machte, die Blätter brennen zu sehen.
Ein Feuer ist kurzlebig und vergänglich – der Inbegriff der Flüchtigkeit. Es bricht plötzlich aus und erwacht tosend zum Leben, wenn Hitze zum Brennstoff kommt und ihn entzündet. Hungrig tanzen die Flammen, während ringsum alles schwarz wird und vergeht. Sobald es nichts mehr zum Verzehren findet, verschwindet das Feuer und lässt nichts zurück außer Asche und unverbrauchten Brennstoff – Holzstücke, Blätter und Papierfetzen, die zu verunreinigt sind, um zu verbrennen. Nicht würdig, sich am Tanz des Feuers zu beteiligen.
Mir kommt es so vor, als hinterließe ein Laubfeuer überhaupt nichts – denn die Asche ist ja kein Teil der Flamme, sondern nur der Rest des Brennstoffs. Das Feuer verwandelt die Dinge. Es nimmt ihnen die Energie und nutzt sie, um sich selbst zu stärken. Das Feuer erschafft nichts Neues, es ist einfach nur, was es ist. Wenn andere Dinge zerstört werden müssen, damit das Feuer existieren kann, dann ist es dem Feuer nur recht. Soweit es das Feuer angeht, sind diese anderen Dinge ja genau dazu da. Wenn sie verschwunden sind, schwindet auch das Feuer. Danach findet man zwar noch seine Spuren, aber nichts mehr
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