Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Salafisten sind aber eher arabisch beeinflusst und noch konservativer als die Deobandis. Der Westen bezeichnet sie als fundamentalistisch. Sie akzeptieren weder unsere Heiligen noch unsere Schreine. Außerdem sind viele Pakistaner Mystiker, und donnerstagabends versammeln sich viele Menschen bei den Sufi-Schreinen, um zu tanzen und Gott zu huldigen. Jede dieser islamischen Strömungen besteht wieder aus vielen verschiedenen Richtungen.
Der Mufti aus der Khushal Street war Mitglied der Tablighi Jamaat, einer Deobandi-Gemeinschaft, die in ihrem geistigen Zentrum in Raiwind – in der Nähe von Lahore – jedes Jahr eine Zusammenkunft mit Millionen von Menschen veranstaltet. Unser letzter Diktator, General Zia, nahm ebenfalls daran teil, und unter seiner Regierung wurden die Tablighis in den achtziger Jahren sehr mächtig. Viele ihrer Imame wurden dazu berufen, in Militärkasernen zu predigen. Außerdem nahmen sich viele Offiziere regelmäßig frei, um für die Deobandi-Gemeinschaft auf Predigerreise durchs Land zu gehen.
Eines Abends, als Mufti damit gescheitert war, unsere Vermieterin dazu zu bringen, uns zu kündigen, scharte er einige Meinungsführer und Älteste unserer
mohalla,
also unserer Nachbarschaft, um sich und kam mit einer Abordnung zu uns nach Hause. Sie waren zu siebt – ein paar weitere führende Tablighis, ein Moschee-Wächter, ein ehemaliger Dschihadist und ein Ladenbesitzer –, und unser Haus war voll.
Mein Vater wirkte besorgt und scheuchte uns nach nebenan. Das Haus war aber so klein, dass wir alles hören konnten. Mullah Ghulamullah ergriff das Wort: »Ich repräsentiere die Ulama sowie die Tablighis, auch die Taliban«, sagte er und bezog sich damit nicht nur auf einen, sondern gleich auf zwei muslimische Gelehrtenstände, um sich selbst mehr Bedeutung zu verleihen. »Ich stehe hier für die guten Muslime, und wir sind uns alle darin einig, dass Ihre Mädchenschule
haram
und gotteslästerlich ist. Sie sollten die Schule schließen.«
»Mädchen sollten nicht zur Schule gehen«, fuhr er fort. »Ein Mädchen ist so heilig, dass es verschleiert und im Verborgenen leben sollte. Im Koran steht nicht ein einziger Name einer Frau, weil Gott nicht will, dass ein solcher genannt wird.«
Mein Vater konnte nicht weiter zuhören. »Überall im Koran wird eine Maryam erwähnt«, sagte er. »War sie etwa keine Frau, und war sie nicht dazu noch eine sehr gute Frau?«
»Nein«, widersprach der Mullah. »Dieser Name steht nur geschrieben, um zu beweisen, dass Isa (Jesus) der Sohn von Maryam war, nicht der Sohn Gottes!«
»Mag sein«, erwiderte mein Vater. »Ich weise trotzdem darauf hin, dass im Koran der Name Maryam genannt wird.«
Der Mufti protestierte abermals, doch mein Vater hatte genug gehört. An die Umstehenden gewandt, sagte er: »Wenn dieser Herr mir auf der Straße begegnet, sehe ich ihn an und grüße ihn, aber er gibt keine Antwort und senkt den Kopf.«
Der Mullah sah verlegen zu Boden, denn jemanden ordentlich zu grüßen ist im Islam sehr wichtig. »Sie leiten die sündige Schule«, verteidigte er sich. »Deshalb will ich Sie nicht grüßen.«
Dann meldete sich einer der anderen Männer zu Wort. »Ich habe gehört, Sie wären ein Ungläubiger«, sagte er zu meinem Vater. »Aber bei Ihnen im Haus stehen viele Ausgaben des Korans.«
»Natürlich!«, antwortete mein Vater, erstaunt, dass sein Glaube in Frage gestellt wurde. »Ich bin Muslim!«
»Kommen wir auf die Schule zurück«, mischte sich der Mufti ein, als er merkte, dass die Diskussion sich nicht in seinem Sinn entwickelte. »Im Eingangsbereich der Schule gibt es Männer. Die sehen die Mädchen eintreten, und das ist sehr schlecht.«
»Dafür gibt es eine Lösung«, sagte mein Vater. »Es existiert noch ein weiteres Zugangstor zur Schule. Die Mädchen werden künftig dieses benutzen.«
Der Mufti war offensichtlich nicht glücklich mit diesem Vorschlag, denn er wollte, dass die Schule ganz geschlossen wurde. Doch die Älteren waren zufrieden mit dem Kompromiss, und die Gruppe verließ das Haus.
Mein Vater vermutete, dass die Angelegenheit damit noch nicht erledigt war. Was wir aber wussten, die Älteren aber nicht, war, dass die eigene Nichte des Muftis heimlich unsere Schule besuchte. Ein paar Tage später sprach mein Vater mit dem älteren Bruder des Muftis, dem Vater des Mädchens.
»Ich habe genug von Ihrem Bruder«, sagte er. »Was für ein Mufti ist er denn? Er treibt uns zum Wahnsinn. Können Sie uns helfen, ihn
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