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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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geschossen worden war, angesichts einer fast toten Tochter.
    ***
    Unter uns, auf dem Dach unseres Hauses, stand meine Mutter Tor Pekai und sah zu uns hinauf. Als sie erfuhr, dass man auf mich geschossen hatte, saß sie bei Miss Ulfat im Klassenzimmer und mühte sich, geschriebene Wörter wie »Buch« oder »Apfel« zu lernen. Sie wollte endlich lesen können. Die ersten Nachrichten waren nicht ganz klar, und sie dachte zuerst, ich hätte einen Schulunfall gehabt und mir den Fuß verletzt.
    Sie eilte nach Hause und erzählte es meiner Großmutter. Sie flehte sie an, sofort für mich zu beten. Wir glauben, dass Allah den Weißhaarigen besonderes Gehör schenkt. Dann fiel meiner Mutter das halb verzehrte Ei auf, das von meinem Frühstück übrig war. Auf allen Sendern flimmerten Bilder von mir über den Bildschirm, wie ich die Preise entgegennahm, gegen die sie sich ja so vehement ausgesprochen hatte. Sie seufzte, als sie all das nun wieder sah. Rundherum hieß es nur noch: »Malala! Malala!«
    Kurz darauf war das Haus voller Frauen. Wenn in unserer Kultur jemand stirbt, versammeln sich die Frauen im Haus des Verstorbenen und die Männer im Hujra, nicht nur die Familie und die engsten Freunde, sondern jedermann aus der Nachbarschaft. Meine Mutter war ganz erschrocken. Sie saß auf einem Gebetsteppich und rezitierte den Koran. »Weint nicht, betet!«, sagte sie zu den anderen Frauen. Dann kamen meine Brüder. Atal, der zu Fuß von der Schule nach Hause gegangen war, stellte den Fernseher an. Er sah in den Nachrichten, dass ich verletzt worden war. Er benachrichtigte dann Khushal. Beide schlossen sich der Klagegemeinde an. Das Telefon stand keine Minute still. Alle möglichen Leute riefen an, um meiner Mutter zu sagen, dass man mir zwar in den Kopf geschossen hätte, die Kugel meine Stirn aber nur gestreift hätte. Die vielen widersprüchlichen Berichte verwirrten meine Mutter. Zuerst hieß es ja, ich hätte mir den Fuß verletzt, dann, dass ich in den Kopf geschossen worden sei. Sie dachte, ich würde es sicher seltsam finden, dass sie nicht an meinem Bett sitzen würde, doch es gab Leute, die ihr rieten, nicht ins Krankenhaus zu gehen, weil ich entweder tot wäre oder man mich in ein anderes Krankenhaus transportieren würde. Dann rief sie ein Freund meines Vaters an, um ihr zu erzählen, dass ich nach Peshawar verlegt werden würde und sie nachkommen solle. Der schlimmste Augenblick für meine Mutter war, als jemand meinen Haustürschlüssel brachte. Man hatte ihn im Bus gefunden. »Ich will keine Schlüssel, ich will meine Tochter!«, schrie sie. »Was soll ich denn mit den Schlüsseln ohne Malala?« Schließlich hörte sie den Hubschrauber. Der Landeplatz war nur einen Kilometer von unserem Haus entfernt, und alle Frauen eilten aufs Dach. »Das muss Malala sein!«, hieß es allenthalben. Während sie nach oben sahen, nahm meine Mutter ihren Kopfschleier ab, für eine Paschtunin eine sehr ungewöhnliche Geste, und hob ihn mit beiden Händen zum Himmel wie eine Opfergabe. »Gott, ich vertraue sie Dir an«, sprach sie. »Leibwächter wollten wir nie haben – Du bist unser Beschützer. Sie stand in Deiner Obhut, und es ist Deine Pflicht, sie zurückzubringen.«
    ***
    Auf dem Flug spuckte ich Blut. Mein Vater war außer sich vor Sorge. Er nahm an, ich hätte innere Blutungen. Er fing an, die Hoffnung zu verlieren. Doch dann merkte Madam Maryam, wie ich versuchte, mir mit meinem Schal den Mund abzuwischen. »Sieh nur, sie reagiert«, sagte sie. »Das ist ein sehr gutes Zeichen.« Als wir in Peshawar landeten, dachten alle, unser Weg würde ins Lady Reading Hospital führen, wo ein sehr guter Neurochirurg praktizierte. Dr. Mumtaz war uns von vielen empfohlen worden. Stattdessen stellten mein Vater, Kanjee, Ahmad Shah und Madam Maryam mit Schrecken fest, dass unser Ziel das Militärkrankenhaus war, das Combined Military Hospital ( CMH ).
    Das CMH ist ein weitläufiger Ziegelbau mit 600  Betten und stammt noch aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft. Gerade wurde dort gebaut, weil ein neuer Flügel entstand. Peshawar ist das Tor zu den Stammesgebieten, und seit die Armee 2004 in jene Gebiete einmarschierte, um die militanten Taliban zu bekämpfen, hatte das Krankenhauspersonal alle Hände voll zu tun mit verwundeten Soldaten oder den Opfern der Selbstmordattentate in der Stadt und der näheren Umgebung. So wie an vielen Orten in unserem Land standen rund um das CMH Betonblöcke und Kontrollstellen zum Schutz vor

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