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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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den Clip vom Finger zu ziehen. »Tu das nicht!« Madam Maryams Stimme klang fast barsch. »Bitte, nicht schimpfen«, flüsterte ich, als wären wir in der Schule. Madam Maryam war eine sehr strenge Rektorin. Am späten Abend trafen meine Mutter und Atal ein. Sie hatten die vierstündige Fahrt mit dem Auto absolviert, ihr Bruder Mohammad Farooq hatte sie gefahren. Madam Maryam hatte sie auf der Fahrt angerufen, um sie zu warnen. »Pass auf, dass du nicht weinst oder schreist, wenn du Malala siehst. Sie kann dich hören, auch wenn du nicht den Eindruck hast.« Mein Vater telefonierte ebenfalls mit ihr und bat sie, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen. Er wollte sie schützen.
    Als sie im CMH eintraf, nahmen sie einander in den Arm und versuchten, nicht zu weinen. Meine Mutter trat an mein Bett und sagte: »Atal ist hier. Er ist gekommen, um dich zu besuchen.« Atal war völlig durcheinander und weinte viel. Er jammerte: »Mama, Malala ist so schlimm verletzt!« Meine Mutter stand unter Schock und verstand wie mein Vater nicht, weshalb die Ärzte nicht operierten, um die Kugel zu entfernen. »Meine tapfere Tochter, meine schöne Tochter!«, weinte sie. Atal machte inzwischen so viel Lärm, dass ein Krankenpfleger meine Familie schließlich in das Wohnheim des Spitals begleitete, wo sie untergebracht waren.
    Fassungslos registrierte mein Vater, wie viele Menschen sich draußen versammelt hatten – Politiker, Würdenträger der Regierung, Minister der Provinz. Sie alle waren erschienen, um ihr Mitgefühl zu bekunden. Sogar der Gouverneur war da und übergab meinem Vater 100000  Rupien für meine Behandlung.
    Wenn in unserer Gesellschaft jemand stirbt, wird es als Ehre angesehen, wenn nur ein einziger Würdenträger seine Aufwartung macht. Nun waren deren viele aufgetaucht, was meinen Vater ärgerlich werden ließ. Er hatte das Gefühl, all diese Leute warteten nur darauf, dass ich starb. Als es darauf ankam, hatten sie jedenfalls nichts getan, um mich zu schützen. Später, als alle gemeinsam aßen, stellte Atal den Fernseher an. Mein Vater schaltete den Apparat aber sofort wieder aus. Er konnte die Nachrichten über den Anschlag auf mich im Augenblick nicht ertragen.
    Sobald er das Zimmer verlassen hatte, setzte Madam Maryam den Fernseher wieder in Betrieb. Auf jedem Kanal schienen sie über mich zu berichten, es gab Kommentare, Gebete und bewegende Gedichte, als ob ich wirklich schon gestorben wäre. »Meine Malala, meine Malala!«, fing meine Mutter an zu schluchzen, und Madam Maryam stimmte in ihr Wehklagen mit ein.
    Gegen Mitternacht bat Oberst Junaid meinen Vater, sich mit ihm vor der Intensivstation zu treffen. »Ziauddin, Malalas Gehirn schwillt an«, sagte er. Mein Vater wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Der Arzt berichtete ihm, mein Zustand würde sich verschlechtern, ich würde immer häufiger das Bewusstsein verlieren und hätte noch einmal Blut gespuckt. Oberst Junaid ordnete eine dritte Computertomografie an. Die Bilder zeigten, dass mein Gehirn tatsächlich inzwischen gefährlich angeschwollen war. »Aber die Kugel hat doch ihr Gehirn gar nicht getroffen«, entgegnete mein Vater irritiert. Oberst Junaid erklärte ihm, der Schädelknochen sei beschädigt worden und Knochensplitter seien ins Gehirn eingedrungen. Diese ließen es nun anschwellen. Es sei notwendig, ein Stück vom Schädelknochen zu entfernen, um dem Gehirn Platz zu verschaffen, sonst würde der Druck unerträglich werden. »Wir müssen sofort operieren«, fuhr er fort, »damit Ihre Tochter noch eine Chance hat. Wenn wir nicht handeln, stirbt sie vielleicht. Ich möchte nicht, dass Sie sich im Nachhinein Vorwürfe machen, weil nichts unternommen wurde.« Ein Stück meines Schädelknochens herauszuschneiden klang in den Ohren meines Vaters ziemlich drastisch. »Wird sie das überleben?«, fragte er verzweifelt. Doch niemand konnte ihn beruhigen. Es war eine mutige Entscheidung von Oberst Junaid. Seine Vorgesetzten waren von der Maßnahme nicht überzeugt. Andere hatten ihm gesagt, es wäre besser, mich ins Ausland zu bringen. Doch seine Entscheidung rettete mir das Leben.
    Am Ende der Unterredung gab mein Vater Oberst Junaid seine Zustimmung zur Operation. Der Neurochirurg sagte noch, er würde Dr. Mumtaz hinzuziehen. Mit zitternden Händen unterschrieb mein Vater die Einverständniserklärung. Schwarz auf weiß stand dort zu lesen, dass die Patientin sterben konnte. Etwa um halb zwei in der Nacht fingen der Oberst und Dr. Mumtaz

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