Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
zu essen kaufen. Also bat ich ein jüngeres Mädchen, mir einen Maiskolben zu besorgen. Ich biss ein wenig davon ab, als es mir den brachte, und schenkte den Rest einem anderen Mädchen. Um zwölf Uhr rief
Baba
uns über den Lautsprecher. Der Bus war da.
Wir rannten die Stufen hinunter. Alle anderen Mädchen bedeckten ihr Gesicht, ehe sie zum Tor hinausströmten, und zwängten sich hinten in den Bus. Ich zog mir den Schal immer nur über den Kopf, nie übers Gesicht.
Den Fahrer, Usman Bhai Jan, bat ich, uns doch einen seiner Witze zu erzählen, während wir auf die zwei Lehrer warteten, die noch kommen sollten. Er hatte nämlich immer ein paar wirklich lustige Späße auf Lager. Aber diesmal erzählte er uns keine komische Geschichte, sondern ließ auf magische Weise einen Kieselstein verschwinden. »Zeig uns, wie du das gemacht hast!«, riefen wir im Chor, aber er wollte uns seinen Zaubertrick nicht verraten.
Als alle da waren, sagte er Miss Ruby und ein paar von den kleineren Kindern, sie sollten sich nach vorne zu ihm setzen. Ein Mädchen weinte, weil es auch nach vorne wollte. Doch Bhai Jan meinte, es tue ihm leid, aber da sei einfach kein Platz mehr, sie müsse hinten einsteigen. Das Mädchen tat mir leid, daher überredete ich ihn, es doch noch bei ihm sitzen zu lassen.
Meine Mutter hatte meinem Bruder Atal gesagt, dass er künftig zusammen mit mir den Bus nehmen soll, also kam er von der Grundschule herüber. Er hängte sich gern hinten ans Auto, was Usman Bhai Jan regelmäßig in Rage versetzte, weil es nicht ungefährlich war. An dem Tag aber platzte ihm der Kragen, und er sagte zu meinem Bruder, er solle sich gefälligst hinten reinsetzen oder er würde ihn nicht mitnehmen. Atal bekam einen Wutanfall und weigerte sich, dem Fahrer Folge zu leisten. Und so ging er mit einigen Freunden zu Fuß nach Hause.
Usman Bhai Jan startete den Dyna, und wir fuhren los. Ich schwatzte mit Moniba, der Weisen und Lieben, die nun einmal meine Freundin ist. Ein paar Mädchen sangen, ich trommelte mit den Fingern den Rhythmus auf der Sitzbank mit.
Moniba und ich saßen am liebsten hinten, weil der Wagen dort offen war und wir daher mehr sehen konnten.
Zu dieser Zeit des Tages wimmelte es auf der Haji Baba Road nur so von bunten Rikschas, Motorrollern und Fußgängern, die alle unter lautem Gehupe durcheinanderwuselten. Ein Eisverkäufer auf seinem mit rot-weißen Atomraketen bemalten Dreirad fuhr hinter uns her, bis ihn einer der Lehrer verscheuchte. Ein Mann schlug Hühnern die Köpfe ab, und ihr Blut tropfte auf die Straße. Köpf, köpf, köpf – tropf, tropf, tropf. Es war irgendwie komisch. Als ich klein war, hieß es immer, wir im Swat seien so friedliebend, dass es schwer wäre, jemanden zu finden, der ein Hühnchen für einen schlachtet.
Die Luft roch nach Diesel, Brot und Kebab, vermischt mit dem Gestank vom Fluss, den die Leute allen Kampagnen meines Vaters zum Trotz unbeirrt weiter als Müllkippe missbrauchten. Andererseits waren wir daran gewöhnt, und bald würde der Winter Einzug halten und mit ihm der Schnee, der Schmutz und Lärm wegfegte.
Der Bus bog rechts in die Hauptstraße ein, vorbei am Kontrollpunkt der Armee. Am Kiosk hing ein Plakat mit irre dreinblickenden Männern, die Bart, Filzkappen oder Turban trugen. Darunter prangte in großen Lettern die Aufschrift: »Gesuchte Terroristen«. Das oberste Bild zeigte einen Mann mit schwarzem Turban: Fazlullah. Mehr als drei Jahre waren mittlerweile vergangen, seit die Militäroffensive zur Vertreibung der Taliban aus dem Swat gestartet war. Wir waren der Armee dankbar, aber niemand verstand, weshalb die Soldaten immer noch da waren, in Scharfschützennestern auf den Dächern oder an den zahlreichen Kontrollpunkten. Nur um in unser Tal einreisen zu können, brauchte man eine offizielle »Unbedenklichkeitserklärung«.
Die Straße, die auf den kleinen Hügel führt, ist normalerweise recht belebt, weil sie eine gute Abkürzung ist, doch an jenem Tag ging es dort außergewöhnlich ruhig zu. »Wo sind denn bloß all die Leute?«, fragte ich Moniba. Die Mädchen sangen und schwatzten, unsere Stimmen hallten im Innern des Vans wider.
Ungefähr zur selben Zeit dürfte meine Mutter gerade das magische, messingbeschlagene Eingangstor unserer Schule zu ihrer ersten Unterrichtsstunde durchschritten haben, seit sie damals als Sechsjährige die Schule verlassen hatte.
Weder sah ich die beiden jungen Männer, die ihre Gesichter mit Taschentüchern vermummt
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