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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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heimlich als Gul Makai und später ganz offen als Malala. Er hatte immer gedacht, wenn die Taliban es auf jemanden abgesehen hatten, dann auf ihn und nicht auf mich. Er sagte, er fühlte sich wie vom Blitz getroffen. »Sie wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«, meinte er später. »Töte Malala, dann schweigt ihr Vater für immer.«
    Mein Vater hatte große Angst, doch er weinte nicht. Überall waren Menschen, sämtliche Direktoren von der Verbandsversammlung waren inzwischen im Krankenhaus eingetroffen, dazu viele Medienvertreter und Aktivisten. Es war, als wären die Bewohner der ganzen Stadt erschienen. »Betet für Malala«, sagte mein Vater zu ihnen. Die Ärzte erklärten ihm, sie hätten eine Computertomografie gemacht, auf der sei erkennbar, dass die Kugel nur oberflächlich eingedrungen sei und mein Gehirn nicht geschädigt hätte. Sie hätten die Wunde gesäubert und verbunden.
    »Oh, Ziauddin! Was haben sie getan?« Madam Maryam, meine Rektorin, kam durch die Tür herein. Sie war an diesem Tag nicht in der Schule gewesen und hatte gerade ihren kleinen Sohn gestillt, als sie einen Anruf von ihrem Schwager erhielt, der wissen wollte, ob es ihr gutgehe. Er hatte von dem Vorfall gehört. Beunruhigt schaltete sie den Fernseher ein. Sofort vernahm sie, dass der Khushal-Schulbus beschossen worden war, und fing an zu weinen und zu schreien. Als sie dann noch erfuhr, dass ich unter den Mädchen war, auf die geschossen worden war, rief sie ihren Ehemann an. Sie fuhr hinter ihm sitzend auf seinem Motorrad ins Krankenhaus, ein sehr seltener Anblick für eine respektable paschtunische Frau. »Malala, Malala! Hörst du mich?«, rief sie. Ich stöhnte. Madam Maryam hatte einen Arzt entdeckt, den sie kannte. Er hieß Dr. Eshan und erzählte ihr, die Kugel wäre durch meine Stirn gegangen, aber nicht in mein Gehirn eingedrungen, es ginge mir gut.
    Sie besuchte auch die beiden anderen verletzten Mädchen, Shazia und Kainat. Shazia hatte zwei Schüsse abbekommen, einen ins linke Schlüsselbein und einen in die Hand. Sie war mit mir ins Krankenhaus gebracht worden. Kainat hatte am Anfang gar nicht gemerkt, dass sie verletzt war, und war nach Hause gegangen. Erst dort entdeckte sie, dass eine Kugel sie am rechten Arm gestreift hatte, und ihre Familie brachte sie ebenfalls in die Klinik. Mein Vater wusste, dass er nach ihnen sehen sollte, doch er wollte keine Minute von meiner Seite weichen.
    Sein Telefon klingelte ohne Unterlass. Der Ministerpräsident der Provinz KPK war der Erste, der ihn anrief. »Keine Sorge, wir kümmern uns um alles«, sagte er. »Das Lady Reading Hospital in Peshawar erwartet Ihre Tochter bereits.« Doch dann übernahm die Armee das Kommando. Um drei Uhr nachmittags traf Brigadier Abid ein, der neue örtliche Befehlshaber, und verkündete, dass ein Militärhubschrauber auf dem Weg sei, um mich und meinen Vater nach Peshawar ins Krankenhaus zu fliegen. Weil keine Zeit mehr blieb, um meine Mutter zu holen, bestand Madam Maryam darauf, uns zu begleiten. Es konnte der Fall eintreten, dass ich die Unterstützung einer Frau bräuchte. Die Familie der Rektorin war nicht glücklich über diese Entscheidung, weil Madam Maryam noch ihren Sohn stillte. Außerdem hatte der gerade erst eine kleine Operation überstanden. Aber Madam Maryam ist für mich wie eine zweite Mutter, ich hätte nur ungern auf sie verzichtet. Als ich in den Krankenwagen geschoben wurde, befürchtete mein Vater, dass die Taliban noch einmal angreifen würden. Er nahm an, jeder wusste, wer in dem Krankenwagen lag. Der Hubschrauberlandeplatz war nur knapp zwei Kilometer entfernt, eine Fahrt von fünf Minuten, doch er war die ganze Zeit über in Panik. Als wir ihn erreichten und der Helikopter noch nicht da war, kam ihm die Wartezeit im Inneren des Krankenwagens wie eine Ewigkeit vor. Endlich landete der Hubschrauber, und die Sanitäter brachten mich an Bord. An meiner Seite waren mein Vater, mein Vetter Khanjee, Ahmad Shah und Madam Maryam. Keiner von ihnen war je in einem Helikopter geflogen. Der hob dann ab und überflog den Grassy Ground, auf dem gerade eine Sportveranstaltung der Armee stattfand. Aus den Lautsprechern ertönten patriotische Lieder. Der Gesang, in dem es über die Liebe zum Vaterland ging, hinterließ bei meinem Vater einen üblen Nachgeschmack. Normalerweise sang er bei diesen Liedern selbst gern mit, doch ein patriotisches Lied schien ihm kaum angemessen angesichts eines fünfzehnjährigen Mädchens, auf das

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