Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
mache sich Sorgen, weil er so unterschiedliche Berichte über meinen Fall hörte. Er bat ihn, einen Blick auf mich zu werfen und zu sehen, wie es mir gehe, bevor er zurück nach England flog. Dr. Javid Kayani, Notfallarzt am Queen Elizabeth Hospital in Birmingham, stimmte zu, sicherte sich aber die Unterstützung von Dr. Reynolds, die als Intensivmedizinerin am Kinderkrankenhaus in derselben Stadt arbeitete. Die Ärztin war allerdings nicht begeistert gewesen, dass sie nach Peshawar sollte, das zu jener Zeit für Ausländer ein gefährliches Gebiet war. Doch als sie hörte, dass ich mich für Mädchen-Schulbildung engagierte, war sie nur zu gern bereit zu helfen. Schließlich – so meinte sie – habe sie ja selbst das Glück gehabt, eine gute Schule zu besuchen und danach Medizin studieren zu können.
Oberst Junaid und der Leiter des CMH waren nicht darüber erfreut, die beiden Briten zu sehen. Es bedurfte einiger Diskussionen, bis Dr. Kayani deutlich machte, wer sie geschickt hatte. Die Ärzte aus Großbritannien waren mit dem, was sie vorfanden, nicht glücklich. Als Erstes drehten sie den Wasserhahn auf, um sich vor der Untersuchung die Hände zu waschen. Leider gab es kein Wasser. Anschließend überprüfte Dr. Reynolds die Apparate und Werte und murmelte etwas zu ihrem Kollegen. Danach fragte sie, wann zum letzten Mal mein Blutdruck gemessen worden sei. »Vor zwei Stunden«, lautete die Antwort. Sie sagte, es sei notwendig, den Blutdruck ständig zu kontrollieren. Auch wollte sie von den Krankenschwestern wissen, weshalb kein arterieller Zugang gelegt worden sei. Weiterhin bemängelte sie, dass mein Kohlendioxidspiegel viel zu niedrig sei.
Mein Vater war froh, nicht zu hören, was Dr. Reynolds zu Dr. Kayani gesagt hatte. Aber er hätte über ihre Worte froh sein können. Ich sei »rettbar«, das nämlich hatte sie geflüstert. Ich hätte zur richtigen Zeit die richtige Operation bekommen, doch jetzt würde man meine Genesungschancen durch die mangelhafte Nachsorge aufs Spiel setzen. Nach einem neurochirurgischen Eingriff ist es lebenswichtig, Atmung und Gasaustausch ständig zu überwachen und den Kohlendioxidwert im normalen Bereich zu halten. Das zu überwachen sollte Sinn und Zweck all der Schläuche und Monitore sein. Der Mediziner aus Birmingham meinte, es sei, wie ein Flugzeug zu fliegen, das könne man auch nur, wenn man die richtigen Instrumente benutzt. Und obwohl diese Instrumente im Krankenhaus vorhanden waren, benutzte man sie nicht richtig. Dann gingen die beiden zu dem Hubschrauber, der sie nach Peshawar geflogen hatte. Es war gefährlich, nach Einbruch der Dunkelheit in dieser Gegend unterwegs zu sein.
Unter den Besuchern, die nicht zu mir vorgelassen wurden, war auch Rehman Malik, der damalige Innenminister. Er brachte Pässe für mich und meinen Vater mit. Mein Vater bedankte sich bei ihm, aber als er abends in die Militärunterkunft zurückkehrte, zog er einen der beiden Pässe aus der Tasche und reichte ihn meiner Mutter. »Das ist Malalas Pass«, sagte er mit Bestürzung in der Stimme. »Ich weiß allerdings nicht, ob er dafür gedacht ist, um ins Ausland zu fahren oder eher in den Himmel.« In der kleinen abgeschlossenen Welt im CMI war meiner Familie überhaupt nicht bewusst geworden, dass meine Geschichte inzwischen um die ganze Welt gegangen war. Die Menschen forderten überall, dass ich zur Behandlung ins Ausland gebracht würde.
Mein Zustand verschlechterte sich, und mein Vater ging kaum noch ans Telefon. Einer der wenigen Anrufe, die er entgegennahm, kam von den Eltern von Arfa Karim, einem Mädchen aus der Provinz Punjab, das als Computergenie galt und mit dem ich über Foren in Kontakt gewesen war. Mit neun Jahren wurde Arfa zum weltweit jüngsten Microsoft Certified Professional ( MCP ) ernannt und war sogar zu einem Treffen mit Bill Gates ins Silicon Valley eingeladen worden. Doch tragischerweise war sie im Januar 2012 nach einem epileptischen Anfall an Herzstillstand gestorben. Sie war erst 16 Jahre alt gewesen, nur ein Jahr älter als ich.
Als ihr Vater anrief, fing mein Vater an zu weinen. »Sagen Sie mir bitte, wie man ohne seine Tochter leben kann«, schluchzte er.
22
Eine Reise ins Ungewisse
I ch war am Dienstagmittag angeschossen worden. Am Donnerstagmittag war mein Vater überzeugt, dass ich sterben würde. Er bat seinen Schwager Faiz Mohammed, dass man im Dorf Vorbereitungen für meine Beerdigung treffen solle.
Man hatte mich ins künstliche Koma
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