Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, sprach von einem »feigen, schändlichen Akt«. Präsident Obama sagte, diese Schüsse seien »verwerflich, abstoßend und tragisch«.
In Pakistan hingegen waren die Reaktionen gemischt. Einige Zeitungen nannten mich zwar eine »Ikone des Friedens«, andere aber verbreiteten nur die üblichen Verschwörungstheorien. In einigen Blogs wurde sogar angezweifelt, dass tatsächlich auf mich geschossen worden war. Alle möglichen Geschichten wurden über mich verbreitet, speziell in der Urdu-Presse. So wurde zum Beispiel behauptet, ich hätte mich gegen das Tragen von Bärten ausgesprochen. Mit am lautesten machte Dr. Raheela Qazi gegen mich Stimmung. Die Parlamentsabgeordnete für die Jamaat-e-Islami nannte mich eine Handlangerin der Amerikaner. Zum Beweis für meinen »intimen Umgang mit den US -Militärbehörden« zeigte sie ein Foto vor, auf dem ich neben dem amerikanischen Sonderbeauftragten Richard Holbrooke sitzend abgebildet bin.
Dr. Reynolds war uns eine große Unterstützung. Meine Mutter spricht nur Paschtu und konnte ihre Bemerkungen nicht verstehen. Aber Dr. Reynolds streckte einfach den Daumen nach oben, wenn sie aus meinem Krankenzimmer kam, und sagte: »Gut!« Sie war nicht nur die behandelnde Ärztin, sondern wurde auch zu jener Person, an die wir uns mit allem wenden konnten. Sie setzte sich mit meiner Familie zusammen, um ihr geduldig alles zu erklären. Und dann musste mein Vater meiner Mutter übersetzen, was sie geäußert hatte. Mein Vater zeigte sich davon ebenso zufrieden wie überrascht. In unserem Land würden sich nur wenige Ärzte die Zeit nehmen, einer Analphabetin jede Einzelheit ausführlich auseinanderzusetzen.
Man sagte meinen Eltern, überall auf der Welt hätten Krankenhäuser angeboten, mich zu versorgen. In Amerika war es ein gewisses Johns Hopkins Hospital, das uns eine kostenlose Behandlung in Aussicht stellte. Auch Einzelpersonen wollten helfen. Der heutige US -Außenminister zum Beispiel. John Kerry war damals Senator, ein reicher Mann, der oft in Pakistan gewesen war. Und Gabrielle Giffords, eine ehemalige Senatsabgeordnete, der man in einem Einkaufszentrum in Arizona in den Kopf geschossen hatte, als sie dort auf Wahlkampftour war. Außerdem kamen Hilfsangebote aus Deutschland, Singapur, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Großbritannien.
Niemand fragte meinen Vater oder meine Mutter in dieser Angelegenheit um ihre Meinung. Sämtliche Entscheidungen wurden von der Armee getroffen. General Kayani besprach sich erneut mit Dr. Javid Kayani, ob ich nicht doch ins Ausland gebracht werden solle. Der Armeechef verwendete erstaunlich viel Zeit auf diese Überlegung – Dr. Kayani sagt, sie hätten über meinen Fall sechs Stunden lang diskutiert. Der General begriff vielleicht eher als so mancher Politiker, welche Konsequenzen es nach sich ziehen würde, sollte ich nicht überleben. Gleichzeitig hoffte er, so für eine Großoffensive gegen die Taliban breite politische Unterstützung zu finden. Aber man sagte von ihm auch, er sei ein mitfühlender Mensch. Sein Vater, ein einfacher Soldat, war jung gestorben. Als ältestes von acht Kindern musste er von da an seine ganze Familie ernähren. Nachdem er Oberbefehlshaber der Streitkräfte geworden war, bestand General Kayanis erste Maßnahme darin, für eine bessere Unterbringung, Verpflegung und Ausbildung der einfachen Soldaten zu sorgen. Er kümmerte sich nicht nur um die Stellung der Offiziere.
Dr. Reynolds meinte, dass ich möglicherweise einen Sprachfehler zurückbehalten könnte. Unter Umständen könnten auch mein rechter Arm und mein rechtes Bein künftig in ihrer Funktion eingeschränkt sein. Ich würde also eine gute Rehabilitation brauchen, die in Pakistan aber nicht zu bekommen sei. »Wenn Sie wirklich das Beste für Ihre Tochter wollen, müssen Sie sie ins Ausland schicken«, lautete ihr Rat an meine Eltern.
Nach der Geschichte mit Raymond Davis und der Tötung Bin Ladens waren die politischen Beziehungen zwischen Pakistan und Amerika schlecht, und so war General Kayani darauf bedacht, keine amerikanische Hilfe anzunehmen, vor allem seit ein US-Hubschrauber an einem Grenzposten mehrere pakistanische Soldaten getötet hatte.
Dr. Kayani schlug uns das Great Ormond Street Hospital in London vor, auch einige Spezialkliniken in Edinburgh und Glasgow. »Und warum nicht Ihr eigenes Krankenhaus?«, wollte der General wissen.
Der Arzt hatte diese Frage erwartet. Das
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