Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Angst. Dr. Afzals Klinik lag inmitten einer Gegend, die von den Taliban übernommen worden war. Die permanenten Schüsse und andauernden Ausgangssperren hatten den Krankenhausbetrieb unmöglich gemacht, und so hatte er sein Spital nach Barikot verlegt. Es folgte ein öffentlicher Aufschrei, und der Sprecher der Taliban, Muslim Khan, hatte bei Dr. Afzal mit der Bitte vorgesprochen, das Krankenhaus wieder zu eröffnen. Dr. Afzal hatte meinen Vater um Rat gebeten, und der hatte ihm gesagt: »Akzeptiere nichts Gutes von schlechten Menschen.« Ein Krankenhaus, das von den Taliban geschützt wurde, konnte nichts Gutes sein.
Dr. Afzal wohnte nicht weit von uns entfernt, und sobald wir zu Hause angekommen waren, bestand mein Vater darauf, ihn wieder zurück zu seinem Heim zu begleiten. Die Taliban konnten es auch auf Dr. Afzal abgesehen haben. Als sie sich erneut auf den Weg machten, fragte Dr. Afzal meinen Vater nervös: »Was sollen wir sagen, wenn sie uns aufhalten und wissen wollen, wie wir heißen?«
»Du bist Dr. Afzal, und ich bin Ziauddin Yousafzai«, antwortete mein Vater. »Diese Verfluchten! Wir haben nichts getan, wieso sollen wir unsere Namen ändern? Nur Kriminelle tun das.«
Glücklicherweise waren die Taliban verschwunden, als sie den Rückweg antraten. Wir alle stießen einen großen Seufzer der Erleichterung aus, als mein Vater anrief, um zu sagen, sie seien sicher angekommen.
Genauso wenig wollte auch ich klein beigeben. Doch der von den Taliban gesetzte Stichtag rückte immer näher: Mädchen durften dann nicht länger zur Schule gehen. Wie aber wollten sie im 21 . Jahrhundert mehr als 50000 Mädchen davon abhalten, die Schule zu besuchen? Die ganze Zeit hoffte ich, dass irgendetwas geschah und die Schulen offen blieben. Doch dann war der letzte Schultag für uns Mädchen plötzlich da.
Wir hatten den Entschluss gefasst, die Khushal-Schulglocke sollte die letzte sein, die schwieg. Madam Maryam hatte sogar geheiratet, damit sie im Swat bleiben konnte. Ihre Familie war nach Karachi geflohen, um dem bewaffneten Konflikt auszuweichen, und als Frau hätte sie nicht allein hierbleiben können.
Am 14 . Januar, ein Mittwoch, gab es keinen Aufschub mehr. Ich war furchtbar erschrocken, als ich an jenem Morgen aufwachte und ein Kamerateam in meinem Zimmer stand. Irfan Ashraf, ein pakistanischer Journalist, folgte mir an diesem Tag auf Schritt und Tritt, sogar als ich meine Gebete sprach und mir die Zähne putzte.
Meinem Vater sah ich an, dass er sehr verstimmt war. Einer seiner Freunde hatte ihn überredet, in einer Dokumentarsendung der Online-Ausgabe der
New York Times
mitzuwirken. Diese sollte der Welt zeigen, was bei uns im Tal geschah. Ein paar Wochen zuvor hatten wir den amerikanischen Videojournalisten Adam Ellick in Peshawar getroffen. Es war ein lustiges Treffen gewesen, denn er hatte auf Englisch ein langes Interview mit meinem Vater geführt, und ich hatte nicht ein Wort gesagt. Dann fragte er, ob er mit mir sprechen dürfe. Dabei sollte Irfan als Dolmetscher fungieren. Nach etwa zehn Minuten erkannte er an meinem Gesichtsausdruck, dass ich jedes Wort verstand, das er sagte. »Du sprichst Englisch?«, fragte er. »Ja. Ich wollte eben sagen, dass in meinem Herzen eine tiefe Furcht ist«, antwortete ich. Adam war erstaunt. »Was ist denn mit euch los?«, sagte er zu Irfan und meinem Vater. »Sie spricht besser Englisch als ihr alle zusammen, und ihr übersetzt mir ihre Worte.« Wir mussten alle herzlich lachen.
Ursprünglich hätte der Dokumentarfilm meinen Vater durch seinen Schulalltag begleiten sollen. Doch am Ende des Treffens fragte Irfan Ashraf mich: »Was würdest du tun, wenn der Tag kommt, an dem du weder in dein Tal noch an deine Schule zurückkannst?« Ich meinte, das würde nicht passieren. Doch er bedrängte mich weiter, und ich fing an zu weinen. Ich glaube, dass Adam an diesem Punkt entschied, sich in der Dokumentation mehr auf mich zu konzentrieren.
Adam konnte nicht ins Swat-Tal kommen. Für ihn als Ausländer wäre das zu gefährlich gewesen. Als Irfan und ein Kameramann in Mingora auftauchten, meinte ein Onkel, der bei uns lebte, immer wieder, es sei viel zu gefährlich, mit einer Videokamera gesehen zu werden. Mein Vater musste dann auch Irfans Team ständig bitten, die Kameras zu verstecken.
Doch sie hatten extra den langen Weg auf sich genommen, und für uns Paschtunen ist es bekanntlich schwer, anderen die Gastfreundschaft zu verweigern. Außerdem wusste mein
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