Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
ist ein Fernseher, der produziert Wahrheit, und in die Einkaufswagen der Super-, Maxi- und Megamärkte stecken wir unsere käuflichen Freiheiten. Eingefangene Wünsche. Wünsche, die von selbst entstehen. Wünsche, die einfach so wachsen. Die fürchterliche Fruchtbarkeit der Alltäglichkeit. Läuft. Also die Maschine, deren Schrauben wir alle sind.
Schwierig wird es dann, wenn man sich die Sinnfrage stellt. Die wird zwar vielerorts einfach ungefragt von Werbung, Medien, Musikindustrie und religiösen Fanatikern beantwortet, aber es gibt ja immer noch Zweifler, solche, die mit dem letzten Atemzug noch Dinge entzweifeln wollen, in denen andere Menschen schon seit Jahren Glücksgeburten haben. Her mit dem schönen Leben, wieder und wieder, nochmal und nochmal, auch ihr Zweifler bekommt einen Sinn mit auf den Weg: zweifelhaftes Zweifeln, enddummes Kritisieren. Weiter so, das ist euer Weg. Das gehört zum Gleichgewicht, ihr Lumpensammler. Sinn erfragen ist gefährlich. Viele Sinnfrager enden bei Psychiatern, andere voll mit Schlafmitteln und Billigschnaps in mittelständischen Dreizimmerwohnungen, wieder andere in politischen Ämtern weit jenseits der Arschlochgrenze. Ich kenne aber auch Sinnfrager, die glücklich geworden sind, und zwar an dem Punkt, als alle Fragen irrelevant wurden.
Ach, wie schön ist es, einfach ehrlich zu sich zu sein. Ehrlich, dass einem das eigene Leben gefällt, dass man nicht Gefahr läuft, demnächst in den Lauf einer Pistole sehen zu müssen. Es ist so schön zu akzeptieren, dass man mit sich und der Welt im Einklang ist. So was geht in deutschen Landen. Klar gibt es auch Erschütterungen, die Welt wackelt kurz, aber wir sind zu keinem Zeitpunkt wirklich in existenzieller Gefahr. Deswegen sollten wir einfach loslegen, losleben. Let's start today, gönn dir einen Garnelenspieß, Tiefseefang, den man überall reintunken kann, damit er noch besser schmeckt. Gewissen haben wir auch alle. Schließlich sind hier Kirchen im Dorf und die bleiben da auch und man ist überaus critically minded. Gesinnung ist was für Extremisten.
Hier ist das Hier wichtig. Der Ort, die Heimat, der unbefangene Umgang damit. Der Mensch, der hier lebt, lässt sich einfach nicht alles bieten, anbieten schon, aber ob er dann zugreift, ist immer noch fraglich. So zeigt sich der hier Lebende immer noch als mysteriöses, uneinschätzbares Subjekt. Aber wehe, es wird ihm die Bequemlichkeit entzogen. Nein, das Leben ist groß, ehrlich und erhaben, und wenn es gut läuft, dann auch bequem. Eingerichtet in der Maßeinheit der Träume. Wenn Träume wie Frieden und Liebe erstmal zur Maßeinheit werden, ist doch jeder unbefangen und kann mit. Müssen alle mit. Kommen alle mit. Alle. Alle. Alle. Wir schreiben nur noch kollektive Tagebücher.
Neulich war ich auf einem Fest mit dergleichen Leuten, einer hatte Geburtstag oder so. Da war ein Wohnzimmer, scheinbar ausgeschnitten aus dem Ikea-Katalog, und darin Menschen, die alle mindestens Abitur hatten. Bildungsbürger, Leistungsklasse. Menschen, die unbefristete Arbeitsverträge haben und diese mit Freiheit verwechseln. Ist ja nicht schlimm, jedem die Fesseln, die ihn stimulieren. Aber dass die Dummheit auch da ihren Platz hat und Dingen Raum gibt, die vernichtet gehören, belegt folgendes mitgeschnittenes Gespräch: Ich hing so in einem Flur und unterhielt mich mit einer Frau, die später am Abend noch Dinge in meiner Hose verlor. Aber das ist ein anderes Thema ...
Gläserklirren. Man stößt mit Wein an. Aus irgendeinem Nebenzimmer dringt der unaufdringliche Bass einer ebenso unaufdringlichen Musik. Easy Listening. Es wird gelacht, warum auch nicht, alles ist doch irgendwie lustig. "Ich mag mal was Politisches fragen. Also, wir sind ja alle critically minded Bildungsbürger. Sind Nazis eigentlich auch Menschen?", wirft eine Beate wissbegierig in die Mitte dieses relativ entspannten Abends und will damit gezielt Unruhe in ihrem standardisierten Freundeskreis erregen. "Was, wie, politisch?" Ihr Freund, irgendein Kai, wacht gerade aus Gedanken über Motorsport auf, über den er sich mit einem zufälligen Jörg unterhalten hat. Diese Leute haben wieder einen schwerst funktionierenden Abend unter sich. Befruchten sich selbst brachial gut mit ihren Gedanken. "Was soll das heißen?", mischt sich eine Sandy ein, "Politik kann so viel sein." Eigentlich sei ja alles Politik, ergänzt dann noch eben jener Jörg, und andere Leute sind gerade nicht da, nur diese guten Vier, und eine Beate meint
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