Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
ausstrahlend in die Augenpaare, prosten sich mit ihren Bierflaschen zu und nippen an ihren Softdrinks. Becks atmet, als käme er grad vom Joggen in die Küche, wahrscheinlich starker Raucher. Becks sagt auf einmal, er müsse tierisch pissen. Veltins neigt daraufhin ihren kleinen blonden Zopfkopf in Becks' Richtung, küsst ihn und nimmt einen Schluck ihres Getränks. Nein, sagt er nochmal, jetzt mit aggressiv schlecht geficktem Nachdruck in der Geröllstimme, die Lage sei ernst, er müsse an der nächsten Haltestelle schleunigst eine Toilette aufsuchen, der Harndrang sei unerträglich. Natürlich hat er nicht das Wort "Harndrang" benutzt, sondern "Pipi". Ach, meint daraufhin Veltins, als sie 2004 in Dortmund beim Konzert der Böhsen Onkelz ganz vorne standen und sie so entsetzlich pissen musste, da hat er doch auch nicht gehen wollen, also sie mit zum Klo begleiten. Da musste sie doch auch ganz doof im Minirock an ihrem Slip vorbei auf den Boden pinkeln und hat das auch gemacht. Aufgefallen sei das keinem, der Geruch war ja allgegenwärtig, aber schön sei das trotzdem nicht gewesen.
Schließlich, beschwert Veltins sich mit der Wortgewalt eines Mähdreschers, seien sie jetzt auf dem Weg zu einer coolen Party und in drei Haltestellen wäre doch eh alles geschafft, also warum jetzt der Aufstand. Dann nennt sie ihn noch liebevoll "Weichei" und "Schwachblase" und lächelt debil in ihr Bier. Becks macht ein Gesicht, als hätte Veltins ihm grad gesagt, dass seine Oma schwul ist oder sein Schwanz klein und dünn. Oder aber als hätte sie einfach nur ein Meerschweinchen beim Putzen imitiert, während er von Problemen berichtet, deren Ausmaß unbeschreiblich schmerzvoll für den Probleminhaber, also ihn, sind. Er hebt jammernd an, dass ein Unglück geschehen werde, wenn ihm nicht gleich ein Klo begegne. Seine Hände zittern. Sein Gesicht sieht nach Schmerzen aus. Jene Schmerzen, die von innen nach außen drängen, an die Öffentlichkeit wollen. So können nur echte Männer leiden. Harn drängelt. Will der Blase entspringen und sich frohlockend weiß-gelb in goldene Keramik ergießen.
"Guck nich' so blöd, du Zecke", verbalkackt Becks dann noch in meine Richtung. Einfach so aus dem Nichts heraus als Resultat eines vielleicht zwanzigsekundenlangen Augenkontakts. "Mach ich ja gar nicht", antworte ich sachlich und versuche eine Ruhe auszustrahlen, die ich nicht habe. Bloß keinen Sonderschüler provozieren, denke ich mir. Einen, der sogar noch pissen muss, also eh grad seinen ganzen Intellekt benutzt, um vorne unten nicht nass zu werden.
Die S-Bahn ballert. Macht Lärm. Der provokative Blick von Becks verliert sich wieder raus aus meinem Gesichtsfeld. Der Dialog mit seiner Freundin geht hingegen weiter. Na gut, sagt Veltins geringschätzig, dann komme man eben zu spät zu Susi und Daniel, und das sei jetzt auch egal, sie wolle eh nach Hause. Veltins macht ein Gesicht wie ein Verkehrsunfall mit drei Schwerverletzten, von denen einer noch im Umland sein Bein sucht. Becks steht schon neben ihr, schwitzt durch seine Haarwurzeln, die S- Bahn-Stimme sagt, dass der nächste Halt irgendein Tor sei.
Ich kenne mich in dieser Stadt nicht aus, und die S-Bahn-Stimme ist verstimmter als Kurt Cobains Gitarre und lalliger als Bob Dylans Gesangskunst. Ich lächle still vergnügt über das mir dargebotene Schauspiel. Das Proletariat ist in seiner Lebendigkeit unerschütterlich.
Becks begegnet wieder nur ganz kurz meinem Blick und wird unsicher und dann aggressiv und raunzt zu mir rüber: "Probleme, Penner?" "Nein", antworte ich lieber schnell und wahrheitsgemäß, aber Becks lässt nicht locker und sagt zu Frau Veltins, dass der Typ, gemeint bin ich, der Typ da in der blöden braunen Jacke gefälligst die Fresse halten solle, sonst würde es klatschen, aber keinen Beifall. Aber der habe doch gar nichts gemacht, erkennt Veltins richtig, und gesagt habe er auch nichts. "Aber der guckt mich an und lacht über mich", krakeelt Becks, "und dafür bekommt er jetzt auf die Fresse, der Penner."
Das sagt er, während der Zug hält, die Türen auf- und wieder zugehen. Aggro-Becks und Beileids-Veltins haben also die Chance auf Erleichterung vertan, dafür ist jetzt die Chance da, dem besten Autor Deutschlands, also mir, auf die Fresse zu hauen. Becks macht einen Schritt auf mich zu, da bemerkt er, dass er immer noch intensivst pissen muss. In seinem Gehirn kämpfen ABSCHAUM-VERKLOPPEN gegen HARNDRANG-ABSCHÜTTELN und ich kann einfach keinen Sieger
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